Zuerst: Unser Spaß-Artikel

Eine Leserfrage war der Auslöser für unseren Artikel über den Sonnenverlauf auf der Südhalbkugel, den wir im November 2014 veröffentlicht haben. Als großer Freund der Naturwissenschaften, speziell der Physik und der Astronomie, lief ich zur Höchstform auf und schrieb eine lange wissenschaftlichen Abhandlung zu diesem Thema. Das glaubten zumindest unsere Leser.

In Wirklichkeit kommt dieser Artikel zwar zum korrekten Ergebnis, die Herleitung ist jedoch gequirlter Dummfug. Schon die ersten Begründungen sind frei erfunden, es folgen falsche Fakten und eine ganze Menge pseudowissenschaftlicher Unsinn. Der Unsinn ist aber so gut verpackt und rhetorisch elegant aufbereitet, dass alles am Schluss doch wieder einen Sinn ergibt. Wie viele Lehrer und Professoren haben sich wohl schon an geklauten Passagen aus unserem Artikel erfreut, weil Schüler und Studenten ohne nachzudenken Teile daraus abgeschrieben haben?

Jetzt aber im Ernst!

Seit wir wissen, wie viele Besucher auf unserer Webseite landen, weil sie in einer Suchmaschine nach „Sonnenverlauf Südhalbkugel“ suchen, ist uns klar, dass wir diesen Unsinn so nicht stehenlassen können. Statt ihn einfach zu löschen oder zu überschreiben, verfassen wir einen neuen Beitrag, der erklärt, wie es wirklich funktioniert mit der Sonne im Süden. Es ist nämlich gar nicht so schwierig. Und damit seid ihr schon mittendrin in unserem neuen Artikel, dieses Mal ohne Dummfug. Versprochen!

Ein Hinweis, der mir am Herzen liegt: Die Profis mögen mir nachsehen, dass ich auf zum Verständnis unnötige Details nicht eingehe und vieles vereinfache. Wann immer in diesem Artikel die Sonne wandert, geht oder sich bewegt, ist natürlich gemeint, dass sie sich scheinbar bewegt, so wie wir das von der Erde aus beobachten.

5 entscheidende Fragen

Den guten alten Merkspruch kennt ihr bestimmt alle: Im Osten geht die Sonne auf, im Süden ist ihr Mittagslauf, im Westen wird sie untergehen, im Norden ist sie nie zu sehen. Gilt dieser Spruch überall auf der Welt? Oder nur für Deutschland oder Europa oder die gesamte nördliche Halbkugel? Fragen über Fragen! Wir beginnen diesen Artikel mit weiteren Fragen, die wir nach und nach beantworten. Danach habt ihr garantiert verstanden, wie das mit der Sonne auf der Südhalbkugel funktioniert.

Frage 1: Geht die Sonne auf der Südhalbkugel auch im Osten auf und im Westen unter?
Frage 2: Gilt „Im Norden ist sie nie zu sehen“ auf der ganzen Welt?
Frage 3: An welchem Datum steht die Sonne an einem Ort exakt senkrecht, sodass kein Schatten geworfen wird?
Frage 4: Gibt es Orte auf der Nordhalbkugel, wo die Sonne doch im Norden zu sehen ist?
Frage 5: Gibt es in Deutschland Orte, an denen die Sonne exakt senkrecht steht (kein Schatten geworfen wird)?

Die Fragen dürften für die meisten Leser gar nicht so einfach zu beantworten sein. Aber ihr werdet sehen, Stück für Stück lüftet sich das Geheimnis um den Sonnenverlauf.

Osten und Westen: Same same

Das Schöne an den Himmelsrichtungen ist, dass sie unabhängig sind von Bezugspunkten, im Gegensatz zum Uhrzeigersinn oder links/rechts, oben/unten und vorne/hinten. Wenn ich links meine, bedeutet das für jemanden, der mir gegenübersteht, keineswegs links, sondern rechts. Die Richtung ist abhängig von einem Bezugspunkt, in dem Fall von mir und meiner Blickrichtung. Wenn man aber auf der Erdkugel nach Norden schaut, ist Osten hingegen immer rechts. Dabei ist es egal, ob man sich auf der Nord- oder Südhalbkugel befindet.

Da sich die südliche Hälfte der Erdkugel keineswegs in eine andere Richtung dreht als die nördliche und – wie gerade festgestellt – die Himmelsrichtungen unabhängig von Bezugspunkten sind, geht die Sonne auch auf der Südhalbkugel im Osten auf und im Westen unter. Genau wie bei uns auf der Nordhalbkugel. So einfach ist das. Damit ist schon die erste Frage ganz locker beantwortet:

Frage 1: Geht die Sonne auf der Südhalbkugel auch im Osten auf und im Westen unter?
Antwort: Ja, denn die Erde dreht sich überall in dieselbe Richtung.

Norden und Süden: Die Wendekreise

Osten und Westen sind gegessen, es ist sonnenklar, dass es hier keinen Unterschied zwischen Nord- und Südhalbkugel gibt. Anders sieht es aus, wenn man Norden und Süden betrachtet. Hier kommen die Wendekreise ins Spiel. Davon gibt es gleich zwei: Die Wendekreise sind gedachte Ringe um die Erde, parallel zum Äquator, einer nördlich und einer südlich davon. Die Abstände zum Äquator betragen jeweils 23 Grad (zum Vergleich: Nord- und Südpol liegen bei jeweils 90 Grad).

Der Äquator ist der Ring (fachmännisch Breitenkreis genannt) in der Mitte der Erde, an ihrer dicksten Stelle. Er läuft durch den Victoriasee und Kenia, durch Sumatra in Indonesien und Ecuador in Südamerika.

Der nördliche Wendekreis läuft zum Beispiel durch die Sahara und durchs Rote Meer, streift fast die nördlichste Spitze von Vietnam, während Hawaii ein bisschen weiter südlich davon liegt.

Der südliche Wendekreis verläuft durch Namibia und Botswana, streift das südliche Madagaskar und geht nur ein paar Kilometer an Alice Springs in Australien vorbei. Hier haben wir eine kleine Karte erstellt mit dem Äquator und den beiden Wendekreisen:

Klicke auf den unteren Button, um die Karte von Stepmap zu laden.

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Sonnenwende

Verglichen mit den Entfernungen auf unserer Erde ist die Sonne gigantisch weit entfernt. Obwohl die kugelförmige Erde recht klein ist, macht es durchaus einen Unterschied, wie weit nördlich oder südlich man sich befindet, wenn man die Himmelsrichtung bestimmen will, in der man die Sonne sieht.

Wäre die Achse der Erde senkrecht zu ihrer Bahn um die Sonne, würde die Sonne immer nur am Äquator senkrecht stehen. Das kann man sich einfach vorstellen. Die Erdachse ist aber um 23 Grad geneigt. Das hat zur Folge, dass während eines Jahres mal der südliche Teil und mal der nördliche Teil der Erde mehr Sonne abbekommt. Und gar nicht zufällig liegen die Wendekreise deswegen auch 23 Grad nördlich und südlich des Äquators.

Auf dem nördlichen Wendekreis liegen die Orte auf der Erde, an denen die Sonne an einem bestimmten Tag im Jahr gerade noch senkrecht steht. Wenn die Sonne genau senkrecht steht, wird mittags kein Schatten geworfen. Der südliche Wendekreis ist das Gegenstück dazu: Ein halbes Jahr später ist die Erde zur anderen Seite der Sonne gewandert und der südliche Teil wird jetzt mehr angestrahlt. An einem bestimmten Tag steht die Sonne an Orten auf dem südlichen Wendekreis genau senkrecht.

Diese beiden speziellen Tage kennt jeder: Es handelt sich um die Winter- und Sommersonnenwende, den kürzesten bzw. längsten Tag im Jahr. Die Sonne „wendet“: Vor der Sonnenwende kommt sie dem jeweiligen Wendekreis immer näher, am Tag der Sonnenwende dreht sie um und wandert im folgenden halben Jahr zum anderen Wendekreis. Dieses Spiel wiederholt sich jedes Jahr.

Am Tag einer Sonnenwende steht die Sonne an allen Orten, die direkt auf dem entsprechenden Wendekreis liegen, um die Mittagszeit senkrecht. Objekte werfen keinen Schatten zur Seite, sondern nur senkrecht nach unten. Da die Sonne aber sofort wieder „umdreht“, kann es jenseits eines Wendekreises (südlich des südlichen und nördlich des nördlichen Wendekreises) keinen Ort geben, an dem die Sonne jemals senkrecht steht. Dies kann nur der Fall sein an Orten, die zwischen den beiden Wendekreisen liegen.

Ein bisschen weitergedacht bedeutet das: Alle Orte nördlich des nördlichen Wendekreises (wie beispielsweise das komplette Europa und somit auch Deutschland) sehen die Sonne immer nur im Süden, niemals senkrecht und schon gar nicht im Norden. Entsprechend gilt für die Südhalbkugel: Südlich des südlichen Wendekreises steht die Sonne immer im Norden und niemals im Süden, genau umgekehrt wie bei uns. Man kann für die Südhalbkugel den Merkspruch also umdichten zu „… im Norden ist ihr Mittagslauf … im Süden ist sie nie zu sehen“. Die anderen Teile des Spruchs mit Osten und Westen bleiben ja gleich.

Unsere zweite Frage gilt damit als beantwortet:

Frage 2: Gilt „Im Norden ist sie nie zu sehen“ auf der ganzen Welt?
Antwort: Nein, es gilt nur für Orte, die nördlich des nördlichen Wendekreises liegen (z. B. Deutschland).

Zwischen den Wendekreisen: Alles senkrecht?

Jetzt wissen wir, dass jenseits der Wendekreise die Sonne niemals senkrecht stehen kann. Um den 21. Juni steht sie am nördlichen Wendekreis senkrecht, um den 21. Dezember am südlichen. Aber was ist mit all den Orten, die zwischen den Wendekreisen liegen? Beispielsweise am Äquator genau in der Mitte? Die Antwort ist einfach: Es kommt darauf an. Doch worauf kommt es an?

Die Sonne wandert von einem Wendekreis zum anderen und zurück, Jahr für Jahr, unaufhörlich. Während sie die Wendekreise selbst nur tangiert, überstreicht sie Orte zwischen den Wendekreisen während eines Jahres aber immer zweimal. An einem Ort, der einen kleinen Abstand von einem Wendekreis in Richtung Äquator hat, wird kurz vor der Wende und kurz nach der Wende die Sonne senkrecht stehen. Wenn die Sonne die Hälfte der Strecke zum anderen Wendekreis zurückgelegt hat, steht sie am Äquator senkrecht und auf dem „Rückweg“ – exakt ein halbes Jahr später – wieder.

Am Äquator steht die Sonne an zwei bestimmten Tagen im Jahr senkrecht: Um den 21. März und um den 21. September, jeweils 3 Monate zu den Sonnenwenden entfernt. An diesen Tagen sind Tag und Nacht überall auf der Erde gleich lang, keine Halbkugel wird von der Sonne bevorzugt, da sie in der Mitte direkt über dem Äquator steht. Wir wagen uns an die Antwort der nächsten Frage:

Frage 3: An welchem Datum steht die Sonne an einem Ort exakt senkrecht, sodass kein Schatten geworfen wird?
Antwort: Das hängt vom Breitengrad des Orts ab. Auf jeden Fall kann das nur für Orte zwischen den Wendekreisen gelten, die während eines Jahres von der Sonne immer zweimal überstrichen werden. Für Orte auf der Nordhalbkugel (die zwischen Äquator und nördlichem Wendekreis liegen) ist dieses Datum je nach Breitengrad zwischen dem 21. März und 21. September. Für Orte auf der Südhalbkugel im anderen Halbjahr.

Jetzt ist auch die Antwort auf die nächste Frage nicht mehr sonderlich überraschend:

Frage 4: Gibt es Orte auf der Nordhalbkugel, wo die Sonne doch im Norden zu sehen ist?
Antwort: Aber sicher! Orte, die zwischen dem Äquator und dem nördlichen Wendekreis liegen, haben die Sonne einmal im Jahr für eine bestimmte Zeitspanne im Norden. Je weiter südlich der Ort liegt, desto länger ist diese Zeitspanne: höchstens ein halbes Jahr (Ort liegt genau auf dem Äquator), mindestens für einen kurzen, theoretischen Moment (beim Grenzfall: Ort liegt auf dem Wendekreis). Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Sonne außerdem im Sommer an Orten nördlich des Polarkreises im Norden steht, zumindest während der Nacht. Das Phänomen der Mitternachtssonne wollen wir hier aber nicht näher betrachten.

Abschließend kommt die letzte Frage, die die meisten von euch vor der Lektüre dieses Artikels mit „ja“ beantwortet hätten:

Frage 5: Gibt es in Deutschland Orte, an denen die Sonne exakt senkrecht steht (kein Schatten geworfen wird)?
Antwort: Nein, ganz sicher nicht. Da Deutschland viel zu weit vom nördlichen Wendekreis entfernt ist, kann es einen solchen Ort nicht geben.

Fazit: Der gute alte Merkspruch

Abschließend sollten wir uns den guten alten Merkspruch nochmals in Erinnerung rufen: Im Osten geht die Sonne auf, im Süden ist ihr Mittagslauf, im Westen wird sie untergehen, im Norden ist sie nie zu sehen. So kennt ihn jeder. Wir ihr aber jetzt wisst, kann dieser Spruch nur für Orte gelten, die nördlich des nördlichen Wendekreises liegen. Was ist aber mit Orten südlich des südlichen Wendekreises und mit den Orten dazwischen?

Es müsste 3 Varianten dieses Merkspruchs geben, damit alle Orte auf der gesamten Erde abgedeckt sind:

  1. Für Orte nördlich des nördlichen Wendekreises bleibt der Spruch, wie wir ihn kennen: Im Osten geht die Sonne auf, im Süden ist ihr Mittagslauf, im Westen wird sie untergehen, im Norden ist sie nie zu sehen.
  2. Für Orte südlich des südlichen Wendekreises muss man nur Norden und Süden vertauschen: Im Osten geht die Sonne auf, im Norden (statt Süden) ist ihr Mittagslauf, im Westen wird sie untergehen, im Süden (statt Norden) ist sie nie zu sehen.
  3. Für Orte zwischen den Wendekreisen wird der Spruch einfach verkürzt, auch wenn er sich dann nicht mehr so schön reimt: Im Osten geht die Sonne auf, im Westen wird sie untergehen. Die anderen Teile des Spruchs hängen von der geografischen Breite des Ortes und vom Datum ab.

Jetzt wisst ihr, wie das mit der Sonne und den Himmelsrichtungen auf der Südhalbkugel funktioniert. Für Orte jenseits des südlichen Wendekreises bedeutet das: Norden und Süden werden vertauscht, Osten und Westen bleiben gleich. Ganz einfach.

Sicherlich habt ihr schon einmal davon gehört, dass es in manchen Teilen der Erde im Sommer überhaupt nicht dunkel wird und im Winter dafür monatelang die Sonne nicht zu sehen ist. Es gibt neben dem Äquator und den beiden Wendekreisen noch zwei weitere wichtige Kreise auf der Erde, die Polarkreise. Vielleicht werde ich eines Tages einen Artikel darüber verfassen und ihr dürft herausfinden, ob er den Tatsachen entspricht oder ob wieder einmal die Fantasie mit mir durchgegangen ist. Bis dahin könnt ihr euch mit unserem Satire-Artikel über den Sonnenverlauf die Zeit vertreiben. Jetzt lasst ihr euch ja keinen Bären mehr aufbinden!