In der gemütlichen Stadt Taupo verbringen wir die Nacht nach unserem Ausflug ins Wai-O-Tapu Thermal Wonderland. Wir schlafen mal wieder umsonst auf einem der vielen Plätze, wo man übernachten darf, wenn man self-contained unterwegs ist. Der untere Parkplatz bei der Taupo Marina, direkt beim Taupo Yacht Club, bietet sogar ein kostenloses und schnelles WLAN, das gibt es in Neuseeland leider nicht allzu oft. Nachdem wir am Morgen in einem der vielen Cafés in Taupo gemütlich gefrühstückt haben, fahren wir Richtung Süden direkt in den Regen, lassen den großen Lake Taupo rechts liegen und erreichen am Nachmittag Whakapapa.

Es regnet für den restlichen Tag und wir können der Wettervorhersage kaum glauben, die für den nächsten Tag nur wenige leichte Wolken meldet. Besser könnten die Aussichten gar nicht sein für den Tongariro Alpine Crossing, den wir schon 2011 gegangen sind. Dieses Mal werde ich allerdings alleine gehen müssen, Marsi wird sich währenddessen um Dari kümmern. Es ist sicherlich möglich, ein Kleinkind in einer Rucksacktrage über den Berg zu tragen, doch das Vergnügen hält sich für jeden von uns in Grenzen: Wer Dari auf dem Rücken hat, hat bei 20 km und steilen Aufstiegen definitiv keinen Spaß. Wer ihn nicht auf dem Rücken hat, muss mehr Gepäck tragen als sonst und bestimmt oft warten. Und für Dari ist ein ganzer Tag in seiner Trage auch nicht lustig, zumal er sich später vermutlich nicht daran erinnern wird, dem Mount Doom aus „Herr der Ringe“ einmal ganz nah gewesen zu sein.

Im Jahr 2011 waren wir im Juni – im beginnenden neuseeländischen Winter – hier und ich erinnere mich noch gut, dass wir mit langer Unterwäsche, Winterjacken, Mützen und Handschuhen bewaffnet waren und das keineswegs übertrieben war. Unsere guten Trekkingschuhe haben wir auch auf dieser Reise dabei, aber ansonsten mussten die Winterklamotten Daris Windeln und Feuchttüchern Platz machen. Ich brauche also definitiv etwas mehr Equipment, welches ich für diesen einmaligen Einsatz aber nicht kaufen möchte.

Auf unserer Campsite in Whakapapa gibt man mir den Tipp, doch einmal im Skotel etwas weiter unten im Dorf vorbeizuschauen. Und tatsächlich, das Hotel, in dem üblicherweise Wintersportler absteigen (der Name ist eine sehr einfallsreiche Mischung aus Ski und Hotel), verleiht neben Ski und Snowboards auch Kleidung. Für 30 NZD (ca. 19 Euro) leihe ich mir eine dicke Winterjacke, eine wasserdichte Hose, Snowboard-Handschuhe und eine warme Mütze für den nächsten Tag.

Die Nacht vor meinem großen Tag ist mal wieder kurz, um 6:20 Uhr klingelt der Wecker und wir fahren nach dem Frühstück in einer Viertelstunde zum Anfang des eintägigen Tongariro-Treks, dem Parkplatz bei Mangatepopo. Da der Trek kein Rundweg ist, sondern zwischen Start und Ziel viele Kilometer liegen, mussten wir 2011 einen Fahrservice in Anspruch nehmen. Dieses Mal habe ich mein ganz persönliches Taxi, denn Marsi fährt mich hin und wird mich am Nachmittag beim Endpunkt wieder abholen. Das Wetter spielt mit, wir haben keine einzige Wolke, als wir den Parkplatz auf 1.100 m Höhe um 8:00 Uhr erreichen.

Der Parkplatz ist so gut gefüllt mit Autos, Campervans und Bussen, dass ich mir einreden muss, dass sich die vielen Wanderer auf dem Trek schon gut verteilen werden. Eine Viertelstunde später bin ich mittendrin. Hunderte sind es bestimmt, die ich in der ersten Stunde überhole. Das ist der Vorteil, wenn man alleine unterwegs ist, man braucht auf niemanden zu warten, kann Gas geben, wenn es gerade gut läuft und Pause machen, wann man möchte. Schon nach anderthalb Stunden erreiche ich den riesigen South Crater und genieße den Blick nach rechts auf den beeindruckenden Vulkan Ngauruhoe. Auch wenn ich „Herr der Ringe“ weder gelesen noch gesehen habe, kann ich mir gut vorstellen, warum man gerade diesen Vulkan mit seinem großen Krater als Kulisse ausgewählt hat.

Ich bin so gut in der Zeit, dass ich ernsthaft darüber nachdenke, den Ngauruhoe zu besteigen. 3 Stunden für Auf- und Abstieg zusammen sind laut Infotafel dafür angesetzt. Das Wetter ist traumhaft, es ist angenehm warm und ich habe keinen Zeitdruck, weil Marsi ohnehin wartet, bis ich am Endpunkt angekommen bin. Kurz kommen Erinnerungen auf an die Rinjani-Besteigung mit Vicky und Matz im September 2011, das war eine äußerst anstrengende Erfahrung. Die 3 Stunden zum Gipfel des 2.291 m hohen Vulkans direkt vor mir erscheinen dagegen wie ein Spaziergang. Ich überlege noch ein bisschen weiter, während ich schon loslaufe und dadurch die Entscheidung schon längst gefallen ist.

Der Weg zum South Crater darf durchaus als Weg bezeichnet werden, er ist deutlich erkennbar, umgeht allzu steile Stellen durch kleine Umwege mit weniger Steigung, an vielen Stellen sind sogar Treppen installiert. Das alles hört jetzt schlagartig auf. Von Weg keine Spur. Asche, Lava, Steine, Staub und Geröll, so weit das Auge reicht. Als Orientierung nutze ich eine dampfende Stelle weit oben, kurz unter dem Gipfel. Dort kann ich die anderen noch gut erkennen, die es schon bis dorthin geschafft haben. Ungefähr auf der Hälfte erkenne ich ein paar Felsformationen, die ich als Ziel für meine erste Etappe anpeile.

Jetzt bin ich auf mich alleine gestellt und muss mir einen eigenen Weg suchen. Nach einer anstrengenden halben Stunde erreiche ich die Felsen, die ich von unten gesehen habe und mache eine Pause. Ich kann auf ein beachtliches Stück hinunterschauen, das ich schon zurückgelegt habe, doch die dampfende Stelle kurz vor dem Gipfel scheint keinen Meter näher gekommen zu sein. Die letzten Höhenmeter bis zu den Felsen waren nicht ungefährlich, der Vulkankegel ist inzwischen richtig steil geworden mit jedem Schritt rutsche ich wieder einen halben Schritt nach unten, oft löse ich auch kleine Erdrutsche und Lavalawinen aus.

Was während meiner Pause unten vom Tal her in meine Richtung weht, gefällt mir gar nicht. Erst ziehen ein paar dünnere Wolken vorbei, schon eine Minute später stehe ich im Nebel und sehe weder den Gipfel noch den unter mir liegenden South Crater. Wie immer bin ich optimistisch und rede mir ein, dass der Nebel bestimmt gleich genauso schnell wieder verschwinden wird, wie er gekommen ist. Eine meiner beiden Wasserflaschen ist schon leer, der Nebel ist sogar noch dichter geworden. Ich hätte den Schicksalsberg wirklich gerne bestiegen und es vermutlich auch geschafft, aber ohne Sicht ist mir der Vulkan zu gefährlich und ohne Ausblick die Anstrengung nicht wert. Ich entscheide mich, doch besser den Rückweg anzutreten und ziehe jetzt die geliehene Jacke und die Snowboard-Handschuhe an. Es ist zwar ein paar Grad kälter geworden durch die fehlende Sonne, aber noch lange nicht kalt genug für die Winterkleidung. Trotzdem fühle ich mich durch die zusätzlichen Schichten viel sicherer, weil der Weg nach unten alles andere als ungefährlich ist. Ich falle lieber auf dicke Handschuhe und rutsche notfalls ein paar Meter auf der Winterjacke nach unten. Als der Weg wieder flacher wird, löst sich auch der Nebel langsam auf und ich kann erkennen, dass ich doch fast die Hälfte des Aufstiegs geschafft hatte.

Durch den South Crater führt ein ebener Weg, den Ngauruhoe habe ich rechts von mir ständig im Blick. Ein beachtlicher Berg, bedrohlich durch seine rot-schwarze Farbe und die Schneefelder weiter oben und gleichzeitig so friedlich und wunderschön anzuschauen. Am Ende des Kraters geht es für eine halbe Stunde richtig steil nach oben, an manchen Stellen sind Seile befestigt, ohne die man kaum genug Halt hätte. Auch im Juni 2011 bei unserem letzten Besuch sind wir die 3 km Umweg zum Gipfel des Mount Tongariro gegangen. Ich bin trotz meines Abstechers zum Schicksalsberg immer noch sehr gut in der Zeit und biege vom Hauptweg nach links ab. Nur wenige andere sind vor oder hinter mir, die meisten Touristen wissen gar nicht, was für ein einzigartiger Ausblick sie erwartet. Der mächtige Ngauruhoe verdeckt den 500 m höheren Ruapehu, den höchsten Vulkan Neuseelands. Wenn man den Umweg zum Gipfel des Mount Tongariro geht, wandert der Ngauruhoe nach links und gibt mit jedem Schritt ein bisschen mehr vom weiter entfernten Ruapehu frei. Am Ruapehu liegen viele Gletscher und die wichtigsten Skigebiete der Nordinsel, außerdem ist der 2.797 m hohe Vulkan äußerst aktiv.

Der Weg zum Tongariro-Gipfel ist anstrengend und ein gutes Stück schwieriger zu gehen als der 19,4 km lange „normale“ Tongariro Alpine Crossing, aber für erfahrene Wanderer einfach zu bewältigen. Kurz vor dem ersten Schneefeld hat mich der Nebel eingehüllt, ich sehe kaum noch 50 m weit. Als ich um 12:00 Uhr auf dem 1.978 m hohen Gipfel eine Mittagspause einlege, sehe ich nichts außer einer milchigen Suppe. Eine Dreiviertelstunde gebe ich der Suppe Zeit, sich aufzulösen. Chancenlos.

Eine halbe Stunde später bin ich wieder am höchsten Punkt des normalen Treks, 3 km Umweg liegen hinter mir. Der Tongariro-Gipfel liegt immer noch in Wolken, während ich unter mir auf der andere Seite die grün schimmernden Emerald Lakes erkennen kann, beinahe ohne Wolken. Einige lassen sich für das steile Stück zum ersten der Seen mächtig viel Zeit, ich brauche nur ein paar Minuten. Sliden und rennen macht in der Vulkanasche einfach mehr Spaß als vorsichtiges Klettern. Auf der rechten Seite geht es steil nach unten in den mächtigen Red Crater, in dessen dunkelroten Schlund man ganz bestimmt nicht fallen möchte.

Nach den 3 Emerald Lakes geht es durch den Central Crater, den größten Krater, den man auf dem eintägigen Trek durchwandert. Wenn man auf der anderen Seite ein paar Höhenmeter zum Blue Lake aufsteigt, erkennt man erst, wie klein die anderen erscheinen, die noch durch den Krater laufen. Nach einem kurzen ebenen Stück geht es ab jetzt nur noch abwärts. Ganz in der Ferne sieht man den Lake Taupo, den größten See Neuseelands. Ungefähr auf der Hälfte der restlichen Strecke liegt die Ketetahi Hut, ich will jetzt aber endlich ans Ziel kommen, wo Marsi schon auf mich wartet. Für heute habe ich genug Anstrengung gehabt. Die 6,4 km von der Hütte zum Endpunkt des Treks führen durch Regenwald und erinnern mich an den Abstieg vom Gunung Rinjani, nicht nur von der Vegetation her. Beide Wege ziehen sich wie ein Hubba Bubba Erdbeer und wollen einfach nicht enden.

Um 17:30 Uhr erreiche ich endlich den Parkplatz bei Ketetahi, wo Marsi und Dari mich abholen. Nachdem ich mein ausgeliehenes Equipment zurückgegeben habe, entscheiden wir spontan, heute nicht mehr wie eigentlich geplant 90 km weiter nach Süden zu fahren, sondern die Nacht auf einem Campingplatz in der Nähe zu verbringen. Nur 10 km von Whakapapa entfernt liegt die Mangahuia Campsite, die wie viele andere vom Department of Conservation (DOC) betrieben wird. Es gibt keinen Luxus, oft aber eine Toilette und manchmal sogar frisches Wasser. Dafür sind die Plätze mit mit 6 NZD (ca. 4 Euro) pro Person und Nacht unschlagbar günstig und liegen meistens an Seen oder in Nationalparks, wo Freedom Camping nicht erlaubt ist.

Am Abend werfe ich einen Blick auf mein Handy, mit dem ich den kompletten Weg über GPS aufgezeichnet habe. Der normale Trek ist 19,4 km lang, durch meine beiden Abstecher zum Ngauruhoe und zum Gipfel des Tongariro kommen aber noch weitere 4 km dazu. Für die 23,4 km habe ich mir gemütliche 9:19 h Zeit gelassen und dabei 942 Höhenmeter aufwärts und 1592 Höhenmeter abwärts zurückgelegt. Das liegt daran, dass der Startpunkt um einiges höher (auf 1.100 m) liegt als der Endpunkt (auf 800 m). Der komplette Tag mit Höhen- und Geschwindigkeitsangaben sieht auf der Karte so aus:

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Auch dieses Mal war der Tongariro Alpine Crossing eine einzigartige Erfahrung und definitiv ein Highlight auf Neuseelands Nordinsel. Wer die Anstrengung nicht scheut, wird mit einer unvergleichlichen Wanderung durch eine unwirkliche Vulkanlandschaft belohnt. Mit unseren Fotos bekommt ihr einen kleinen Eindruck von einem unvergesslichen Tag: