Dieser Beitrag wurde von unserer Mitreisenden und treuen Gefährtin Jule geschrieben.
Die Südamerikaner sind dafür bekannt, dass ihre Mentalität von der unseren abweicht, und da wir ja auf ferne Reisen gehen, um genau hierfür Beweise live und in Farbe zu sammeln, war unser Trekking in Peru ein absoluter Volltreffer.
Schon als ich noch in Buenos Aires war, erzählten mir Daniel und Marsela, dass sie mit unserem Herbergsvater Livo, kurz Papa genannt, Verabredungen getroffen haben, um einen von ihm zu organisierenden Trip für 9 oder 10 Tage zu machen. Die Rahmenbedingungen wie anstrengendes Wandern, Schlafen in Zelten und Machu-Picchu-Besichtigung inklusive hörten sich super an und wir freuten uns darauf, dass es sonntags losgehen sollte.
Als ich dann aber donnerstags in Cusco ankam und unsere Fragen an Papa etwas konkreter wurden, stellte sich heraus, dass wesentliche Dinge wie Zugverbindungen, Eintrittskarten und Buchungsvorgänge in den einzelnen Oficinas der Stadt, die hauptsächlich dafür bekannt sind, dass man dort in haarsträubender Menschendichte ewig lang anstehen und darauf warten muss, bis die Privatgespräche an den einzelnen Schaltern endlich versiegen, immer noch ungeklärt waren und von seiner Zuständigkeit in die unsere wechseln sollten.
Gut, dachten wir, machen wir, dann wissen wir wenigstens, dass es klappt … machten uns also auf unsere Orga-Marathonstrecke und handelten im Übrigen mit Papa nur noch den Preis für den verbleibenden Teil der Leistungen aus.
Versprochen wurden ein Emergency-Horse für Notfälle, in denen einer von uns aus irgendwelchen Gründen nicht mehr laufen kann, eine Erste-Hilfe-Ausrüstung für leichte Verletzungen, für die beachtliche Körperlänge von Daniel (1,92 m) ein 4-Mann-Zelt, damit seine Füße nicht aus dem normalen Iglu-2er-Zelt über Nacht herausragen müssen und extra Wolldecken für besonders kalte Nächte (vor denen uns graute). Als Koch sollte sein Schwager Raúl mitkommen, mit dem wir schon einige Essenswünsche besprochen hatten, das Feintuning aber noch ausstand.
Nach einigem Hin und Her kam es dann letztlich zur Vertragsunterzeichnung, die Papa sehr wichtig war, da er vorher nicht bereit war, Dispositionen zu treffen und die entsprechende Mannschaft aus Pferdebetreuern und Mulis sowie Zelte und Ausrüstung fix zu ordern. Wir konnten also miterleben, wie unser Trip, der bereits seit zwei Wochen in Planung war, letztlich in den letzten 3 Stunden vor Abfahrt endlich Gestalt annahm. Gut, auf Daniels Wunsch hin, das Equipment sehen zu dürfen, stellte sich sein 4-Mann-Zelt doch nur als 2-Mann-Zelt heraus, was aber glücklicherweise für die Maße von 1,92 m gerade ausreichte.
Unser schlauer Fuchs Papa roch natürlich neben dem Gesamtpackage, das er mit uns abgeschlossen hat und das ihm mit Sicherheit einen guten Teil seines Monatsgehalts beschert, noch die Möglichkeit, mit dem Verleih von Thermomatratzen, Wanderstöcken und einem Schlafsack für mich nochmal ne schnelle Extramark, in diesem Fall ein paar Extra-Soles zu machen und bot uns diese heiß begehrten Dinge zu extrem überteuerten Tages-Ausleihpreisen an. Hm, schade nur, dass wir vorher in Cusco unterwegs waren und uns dort schon alles zu einem Bruchteil des geforderten Tributs geliehen hatten und die europäischen Kühe zumindest in diesem Teil des Treks nicht weiter gemolken werden konnten.
Als es dann am Sonntag morgen wie verabredet noch vor Tagesanbruch losging, waren meine und Marselas erste Fragen die nach den zusätzlichen Decken. Und wer hätte es gedacht, Papas Antwort war: „No, I didn’t bring extra blankets, I thought you do!“. Okay, dann muss es eben so gehen, sprach’s aus uns und die Fahrt im Van nahm ihren Lauf. Auf die Frage nach 1,5 Stunden, wieso unser Koch noch nicht bei uns ist, ging ein Ruck durch Papas Gesicht und er wies den Fahrer an sofort umzudrehen, denn er hatte ganz vergessen, Raúl abzuholen und wir waren schlichtweg schon zu weit gefahren. Naja, eine Person von der 4-köpfigen Mannschaft kann halt leicht mal verbummelt werden, oder?
Am verabredeten Treffpunkt, dem vermeintlichen Wohnsitz des Schwagers war dieser jedoch nicht anzutreffen und auch eine einstündige Wartezeit tat nichts zur Verbesserung der Situation. Auf Anrufe reagierte Raul zunächst mit „I’ll be there in 10 minutes“, dann aber war sein Handy nur noch konsequent abgeschaltet und seine Person weiterhin abwesend. Gut, dachte Papa, dann halt ohne ihn. Wir starteten und hatten einen wunderschönen ersten Wandertag, den wir sehr genossen haben. Irgendwie hat Papa es geschafft, einen Ersatzkoch zu finden und zu engagieren: der supernette Javier, der noch am gleichen Abend zu uns stieß.
Gleich am ersten Abend (und auch in den darauf folgenden) wurde Papa leider von Schmerzen in der Hüfte gequält und hilfesuchend wandte er sich gerne an uns, um auf die Vorräte in unserer Reiseapotheke zurückzugreifen, da das von ihm versprochene First-Aid-Paket entweder nicht existierte oder ein easy Aspirin oder Ibu einfach nicht enthielt. Gut, kein Problem, wir hatten ja alles am Mann und davon reichlich.
Die Frage nach Medikamenten nahm aber im weiteren Verlauf des Treks den Geruch von simplem Betteln nach Almosen an, denn auch für Familien, auf deren Campsite wir übernachteten, wurden wir um Medikamente gebeten, da die armen Babys gerade krank geworden waren. Als Stimulanzfaktor für weitere Freigiebigkeit wurden uns dafür Geschichten von anderen Touristen erzählt, die auf eigene Kosten die Familien bei Notfällen sogar in nächste Dörfer und Städte transportiert haben und dort auch für weitere Kosten der Behandlung aufkamen. Klar hilft man in Notfällen gerne, aber in uns keimte der Verdacht, dass unsere Medikamente schlichtweg in das Sortiment des kleinen Hofladens einsortiert werden sollten. Egal, quod erat demonstrandum!
Ich als alter Pferdefan dachte mir bei einigen sehr stressig zu erklimmenden Berghöhen des Öfteren, dass es ja doch ganz reizvoll wäre, hier und da ein kleines Stück auf einem Pferderücken zurückzulegen. Leider waren aber alle unsere 4 Pferde voll beladen, das kam also nicht infrage. Am 4. Tag bekam ich allerdings einen üblen Schwächeanfall, der wohl auf einen Sonnenstich zurückzuführen war und ich war sehr froh, dass Papa es ermöglicht hat, eines der Pferde nach dem Abladen zurück zu unserer Gruppe zu holen, sodass ich zumindest für die letzten 20 Minuten auf den rettenden Vierbeiner klettern durfte. Für den nächsten Tag orderte ich vorsorglich das Emergency-Horse, da es sich so anfühlte, als könnte ich bis auf Weiteres so gar keinen Fuß mehr vor den anderen setzen.
Tja, am nächsten Tag wurde mir dann ein Esel vorgeführt, der ungefähr ein Stockmaß von einem Meter und nur unwesentlich mehr Körpergewicht als mein eigenes aufwies. Er hörte, wie mir auf meine Frage gesagt wurde, auf den liebevollen Namen „Esel“. Ne, dachte ich mir, auf diese arme Haut setz ich mich nicht, das kann ich nicht, eher kriech ich auf allen Vieren! Schlussendlich bewog dies Papa dazu, doch ein Notfallpferd zu organisieren, das ich aber, welch Überraschung, dann zusätzlich zu bezahlen hatte. Gut, von Verträgen kann ja abgewichen werden, muss es aber nicht.
Trotzt all dieser kleinen Unwägbarkeiten war unsere Stimmung stets ausgelassen, da Papa an sich ein sehr angenehmer Zeitgenosse ist. Er hatte jedenfalls immer ein Witzchen parat und dies, ohne andere Guides, die wir unterwegs trafen, zuvor fragen zu müssen, im Gegensatz zu allen anderen Gelegenheiten, bei denen wir Antworten von ihm erbaten, die Höhenangaben der Berge, Wegstreckenlängen und andere organisatorische Kleinigkeiten betrafen. Vielleicht waren unsere Ansprüche diesbezüglich aber auch zu hoch, denn Papa erzählte ja lediglich permanent von seiner 20-jährigen Erfahrung als Tourguide, und in dieser überschaubaren Zeitspanne ist es sicherlich nicht möglich gewesen, sich all diese unwichtigen Details einzuprägen.
Was uns dann schlussendlich doch, gelinde gesagt, verstimmt hat, war seine Offenbarung am Tag 7 abends beim Dinner, dass er mit seiner Frau, Mama Cusco, gesprochen hat und diese einen Fehler in unserem Vertrag gefunden hat. Dieser beruhe schlichtweg auf einer zu niedrigen Preisangabe durch einen Irrtum bei verschiedenen Berechungsgrundlagen, so dass wir jeder aufgefordert wurden, nochmals 10% vom Gesamtpreis nachzuzahlen. Hm, der Ärger war gratis, aber guter Rat jetzt teuer, denn unser gesamtes Gepäck lag, als zugriffsfreies Pfand sozusagen, bei Mama im Storage Room. Also mal besser nicht direkt ablehnen, haben wir uns gedacht. In unseren Köpfen tobten zu diesem Zeitpunkt schon Bilder von der geldgierigen Herbergsmutter, die bei einem Nein unsererseits schon das Messer in der Hand hat und unsere Rucksäcke aufschlitzt, um ihre vermeintlichen Ansprüche aus dem Inhalt zu befriedigen. Wir verblieben mit Papa also so, dass wir uns alle zu einem klärenden Gespräch mit Mama an einen Tisch setzen, sobald wir wieder zurück in Cusco sind.
Bei unserem Eintreffen in unserer Herberge ohne Papa, der einen Zug später von Aguas Calientes nahm, war Mama ganz freundlich und empfing uns mit einem immerhin sicherlich gut gemeinten „Mis amores“, welche Gedanken dabei hinter ihrer Stirn eine Rolle spielten, bleibt uns bis heute leider verborgen. Da ein totaler Eklat zunächst ausblieb, entschlossen wir uns, nachdem wir unser Restgepäck unversehrt wieder in Besitz genommen hatten, unsere Wäsche doch bei Mama waschen zu lassen, obwohl ihr dies ja wieder ein Pfand gegen uns in die Hand gab.
Nun denn, nachmittags darauf, Marsi und Daniel befanden sich gerade in unserem Lieblingscafé, entlud sich allerdings ein emotionales Gewitter über mir, als ich Mama und Papa unerwartet und unvorbereitet alleine in die Arme lief. Sie brachten das Thema schnell auf das vermeintlich noch zu zahlende Geld und in Mamas Wortschatz tauchten häufiger die Vokabeln anuncio (Anzeige) und policia (Polizei) auf.
Darüber hinaus meine ich aus dem hasserfüllten spanischen Emotionalvortrag herausgehört zu haben, dass sie dafür sorgen würde, dass wir das Land nicht verlassen können, bevor wir unsere Schulden nicht gezahlt haben. Auf die daraufhin erfolgte Direktaussprache zu fünft haben wir uns zumindest insoweit vorbereitet, als wir bereit waren, ein Drittel des geforderten Preises um des Friedens willen nachzuzahlen und diesen Betrag griffbereit und abgezählt in der Tasche hatten. Nachdem wir darauf hingewiesen wurden, dass wir durch unser Verhalten hauptsächlich fehlende Wertschätzung der Arbeit ihres Mannes zum Ausdruck brächten und ihm daduch einen wesentlichen Teil seiner Würde nähmen, sie und ihre Familie finanziell ausnutzen wollten und unser gesamtes Verhalten schlichtweg böse und nicht nachvollziehbar sei, ist uns irgendwann auch der Kragen geplatzt.
Wir zogen unser Geldbündel hervor, Mama hatte die Runde schon schreiend und mit Wuttränen in den Augen verlassen, sagten Papa, dass dies unser letztes Angebot sei, seinen Kalkulationsfehler zum Teil mitzutragen und zogen uns mehr oder weniger verärgert zurück und überlegten, dass es sehr unschön ist, jetzt nach diesem Debakel eine weitere Nacht unter Mamas und Papas Dach zu verbringen. Aber, der Geldfuchs Mama hatte sich schnell wieder beruhigt und erinnerte uns keifend daran, dass wir bereits vor unserem Trek eine Reservierung für 2 Nächte getätigt hatten und sie dieses Geld auf jeden Fall haben wollte. Gut, wir wollten uns an das halten, was wir mündlich zugesichert hatten und blieben.
Aber der Frieden währte nicht lange, denn auch das Zigarettenpäuschen, das Daniel und ich uns nach dem Debakel gönnten, wurde durch jähe Schreie aus dem oberen Teil des Gebäudes, in dem unsere Zimmer lagen, unterbrochen. Ich hörte erst Marsis Stimme, die sagte: „No, está bien, no es necessario.“ (ungefähr „Alles ist gut, das ist nicht nötig.“) und einen darauf folgenden spanischen Verbalausbruch, den wir von unten erst mal gar nicht einordnen konnten. Als wir nach oben eilten, brauchte ich ehrlich gesagt ziemlich lange, um den einfachen Sachverhalt zu verinnerlichen, so schräg fand ich ihn: Marsi hat ihre von Mama gewaschene Jacke von der Sonnenterasse geholt, da sie längst getrocknet war und wir unsere Rucksäcke packen mussten. Mama war darüber erbost, weil Marsi ihrer Meinung nach dazu kein Recht hatte. Denn es ist ihre Arbeit („Es mi trabajo, es mi TRABAJO, ES MI TRABAJO!!!!“), die Sachen zu waschen, zu trocken und danach in Tüten zu packen.
In ihrer Rechthaberei griff sie dann auch gleich zur Selbstjustiz und riss Marsi die Jacke aus der Hand, was bei Marsi verständlicherweise zur Anschwellung der Halsschlagader führte. Darauf angesprochen, ließ Mama sich nur schwer von mir, Daniel und ihrer eigenen Tochter beruhigen, erst als sich Papa von unten mit sonorer Stimme einschaltete, war sie bereit, die Jacke aus ihren Fangzähnen freizugeben. Wahnsinn, diese Frau, abgesehen davon, dass sie von dem Grundsatz „Der Kunde ist König“ mit Sicherheit noch nie etwas gehört hat, wage ich die Behauptung, dass sogar schon die Inkas in ihren Steinruinen gepflegtere Umgangsformen hatten. Im Schein einer Gesprächskerze kamen Marsi, Daniel und ich im Nachhinein zu dem Schluss, dass das Verpacken frischer Wäsche einfach einen großen Teil des Nährbodens von Mamas Selbstbewusstsein ausmachen muss, denn sonst rastet keiner so aus, wenn ihm Arbeit abgenommen wird. Und da tat sie uns schon wieder leid.
Tja, so war’s und mit ein wenig Abstand können wir sagen: Es war ein supertoller Trek, es waren unvergessliche 9 Tage und auch die oben beschriebenen Abweichungen von der Wunschvorstellung sind im Nachhinein einfach nur lustig. Und damit wir uns auch am Ende als die moralischen Sieger fühlen konnten, haben wir stundenlang Rachepläne ersonnen, sind dabei auf ganz tolle Ideen und findige Bosheiten gekommen, die Umsetzung wäre ein Leichtes gewesen, und doch haben wir darauf verzichtet, weil es sich einfach nicht gehört. So. Weihrauch für alle.
Anmerkung von Marsi und Daniel: Vielen Dank an unsere einzigartige Freundin Jule für diesen Artikel! Wir vermissen dich und wünschen dir alles Gute für deine Zeit in Mexiko. Aber wie wir alle wissen, sehen wir uns ja bald schon wieder. ;-)
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