Schon 5 Tage sind wir in Lhasa. Kurz nachdem wir unsere Rucksäcke ins Zimmer unseres kleinen Hotels gebracht haben, stürzen wir uns mit Helen und Erik, die wir im Hotel kennenlernen, ins Gewusel von Barkhor. Barkhor ist eine von drei Möglichkeiten, den wichtigsten Tempel von Lhasa zu umrunden. Dieser Tempel, Jokhang, befindet sich im alten tibetischen Viertel der Stadt, keine 100 m von unserem Hotel entfernt. Hier ist 24/7 etwas geboten, auch nachts sind noch Betende unterwegs, werfen sich mit ausgestreckten Armen auf den Boden, stehen auf, laufen ein paar Schritte, um sich an der Stelle, wo die Hände den Boden berührt haben, wieder hinzuwerfen. Eine unglaubliche Hektik herrscht auf dem knapp 1 km langen Stück Straße, das rund um den Tempel führt. Wie immer umrundet man buddhistische Tempel im Uhrzeigersinn, sodass wir immer, wenn wir auf dem Rückweg ins Hotel sind, in die Gegenrichtung laufen müssen, um nicht den kompletten Kilometer zu laufen.

Seit ungefähr einem Jahr ist die Militärpräsenz in Lhasa massiv gestiegen, an jeder Ecke und auf jeder Straße laufen Soldaten mit Maschinenpistolen auf und ab. Sogar auf den Dächern der alten Häuser beobachten sie das Geschehen von oben. Man spricht nicht viel über die Chinesen in Tibet, höchstens von der Kulturrevolution. Auch nicht über die Soldaten, Hintergründe können wir von den Tibetern also nicht erfahren. Solange wir uns nicht bedroht fühlen, ist uns das auch relativ egal, und als Bedrohung empfinden wir die Soldaten nicht.

In einem gemütlichen Restaurant kann ich nicht widerstehen und bestelle Yakbuttertee. Dieses typisch tibetische Getränk wird in diesem Restaurant leider nur in großen Thermoskannen serviert. Jeder am Tisch probiert ein Tässchen, ich halte bis zur vierten Tasse durch, dann muss ich aufgeben. Zu fremd und intensiv ist der Geschmack, mit nichts zu vergleichen und durch keine Worte zu beschreiben. Marsi meint: „Mit einer Prise Salz und Nudeln würde es wie Spaghetti mit Gorgonzolasoße schmecken.“

Am nächsten Tag sieht Lhasa schon ganz anders aus. Das Gewusel ist geblieben, jetzt sehen wir die Stadt aber in ihrer vollen Pracht. Wir haben einen freien Tag und bewegen uns frei in Lhasa, fühlen uns dabei aber noch etwas unsicher, da wir nicht genau wissen, wofür wir eigentlich das Tibet Travel Permit (TTP) einholen mussten und ob es Dinge gibt, die wir besser lassen sollten. Im Uhrzeigersinn gehen wir die Hälfte der Barkhor-Kora, über den Jokhang Square und weiter in Richtung Potala Palace. Dann stehen wir dem beeindruckenden Palast gegenüber, den wir von so vielen Fotos und Postkarten kennen. In diesem Moment fühlen wir, wie schon auf der Chinesischen Mauer bei Peking, dass wir uns gerade wieder einen großen Traum erfüllen.

Am nächsten Tag besuchen wir zwei Klöster, Ganden Monastery und Drag Yerpa. Diesen Tag können wir noch alleine genießen, zusammen mit unserem Guide und dem Fahrer. Ganden Monastery liegt an einem Berg, um diesen führt eine Kora, die wir in einer guten Stunde (natürlich im Uhrzeigersinn) gehen. Drag Yerpa ist ein berühmtes Kloster, das mitten in ein Felsmassiv gebaut wurde. Beide gefallen uns außerordentlich gut, Fotos habt ihr im vorletzten Artikel schon gesehen.

Nachdem wir uns am folgenden Tag ausruhen und langsam an die Höhe gewöhnen, treffen wir uns tags darauf erstmals mit unserer Gruppe. Zusammen sind wir 7 abenteuerlustige Touristen, neben uns sind Amerikaner, Engländer und Finnen dabei, von Mitte 20 bis Anfang 70. Wie dieser Tag genau angefangen hat, könnt ihr im Artikel Schock am frühen Morgen lesen. Wir besuchen zwei weitere Klöster in der näheren Umgebung von Lhasa, Drepung Monastery und Sera Monastery. Marsi muss auf beide Besichtigungen wegen ihrer Magenprobleme leider verzichten.

Nachdem wir wegen des Ratten-Alarms das Zimmer gewechselt haben, ist unser neues Zimmer zwar größer und komfortabler (sogar mit Heizlüfter!), dafür zeigen die dünnen Fenster direkt zur kleinen Gasse vor dem Hotel. Am heutigen Morgen durften wir erleben, wann der Metzger gegenüber anfängt, seine frisch gelieferten Yak-Hälften mit einem großen Beil zu zerlegen (um 7:45 Uhr!) und wie kurz darauf eine Viertelstunde lang jemand alle paar Sekunden in eine laute Trillerpfeife bläst, der Grund dafür hat sich uns noch nicht erschlossen.

Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt runden unseren Besuch ab: Potala Palace und Jokhang.

Fakten über Lhasa

So viel in aller Kürze zu unseren Tagen in Lhasa. Aber was nehmen wir mit außer ein paar Souvenirs und Fotos? Ein paar Eindrücke wollen wir mit euch teilen:

  • Lhasa liegt auf über 3.500 m Höhe, was man nicht unterschätzen darf. Auch wir hatten leichte Probleme mit der Höhe, Marsi mehr, ich kaum. Ringsum sind Bergzüge, teils mit schneebedeckten Gipfeln.
  • Das Wetter war jeden Tag traumhaft, sonnig mit wenigen Wolken. Teilweise konnten wir im T-Shirt die Tempel erkunden, ein kurzer Schneeschauer überraschte uns in einem Kloster auf über 4.000 m Höhe.
  • Auch in Lhasa wird gehupt und gespuckt, leider. Unser Hotel liegt, wie das ganze Zentrum der Altstadt, zwar in einer offiziell hupfreien Zone, doch das interessiert hier kaum jemanden. Spuckfreie Zonen sollten möglichst bald eingeführt werden, wenn es nach uns ginge.
  • Die Tibeter sind uns sehr freundlich begegnet. Auch ohne Worte versteht man sich, lächelt sich zu oder an und wünscht sich viel Glück.
  • Nachdem in 5 Tagen immer noch niemand unser Tibet Travel Permit sehen wollte, bemerken wir, dass wir uns überraschend frei bewegen können. Wir hätten mit mehr Kontrolle und mit mehr Einschränkung gerechnet. Insgesamt erleben wir Lhasa diesbezüglich wie jede andere Stadt auch, die wir schon bereist haben.
  • Lhasa ist unterteilt in einen alten, tibetischen Teil und einen neueren, chinesischen.
  • Der alte Teil der Stadt, in dem wir wohnen, besteht im Wesentlichen aus dem Jokhang-Tempel, um den sich zahlreiche kleine Gassen und Straßen ziehen. Hier können wir jeden Tag das „echte“ Tibet in uns aufsaugen, zusammen mit Hunderten Pilgern die Kora gehen und Tausenden Gebetsmühlen zusehen, die sich (natürlich im Uhrzeigersinn) unaufhörlich drehen. Wir werden von Autos und Mopeds weggehupt, von Kindern angelächelt und verhandeln wie sonst auch, wenn wir Souvenirs kaufen.

Neben diesen recht sachlichen Eindrücken können wir jetzt schon sagen, dass sich unser Tibet-Trip mehr als gelohnt hat. Auf dem Dach der Welt ticken die Uhren anders, wir genießen unsere Zeit sehr, trotz Magenproblemen, Ratten und höhenbedingten Kopfschmerzen.

Unvergessliche Eindrücke und Buddhas überall

Der tibetische Buddhismus ist uns ohne fundiertes Hintergrundwissen schwer zugänglich, den Erzählungen unseres Guides können wir meist nur wenige Minuten folgen, bis wir wieder durcheinanderkommen, welcher der 14 Dalai Lamas jetzt wo begraben ist und warum die drei Buddhas der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft ausgerechnet in diesem Teil des Tempels sind und warum manche Buddhas mehr Arme haben als andere. Trotzdem beherrscht der Buddhismus nicht nur das Leben der Tibeter, sondern auch unseres. Durch die Nähe zum wichtigsten Tempel, aber auch durch die vielen Klöster und Tempel, die wir besuchen.

Neben den vielen verborgenen Details der für uns so fremden Religion sind es aber auch ganz weltliche Eindrücke, die uns tief beeindrucken und die wir niemals vergessen werden: Der Uhrzeigersinn, das Aroma von Wacholder-Räucherstäbchen im Kloster, die Butterkerzen mit ihrem ganz typischen Geruch, die unzähligen Gebetsfahnen, deren Geräusch im Wind, die Gebetsmühlen und vor allem die unglaublich bunten und schönen Farben.

Wir sind froh, diese faszinierende Stadt erlebt zu haben und sind uns sicher, dass wir nicht zum letzten Mal hier gewesen sind.