Wie wir von der nepalesischen Grenze nach Varanasi gekommen sind, haben wir bereits im letzten Artikel beschrieben. Nachdem wir endlich ein einigermaßen sauberes Guesthouse (das „Singh Guest House“) in unmittelbarer Nähe der Ghats gefunden haben, gönnen wir uns noch ein Abendessen und fallen ins Bett.

Die Stimmung am folgenden Morgen ist durchwachsen, Marsi hat schon am ersten Tag in Indien beschlossen, dass sie mit diesem Land nicht warm werden wird. Mit guten Gründen, wie ihr im Folgenden noch lesen werdet. Wir beschließen nach dem Frühstück, im Guesthouse einen Booking-Service zu beauftragen, der uns die begehrten Tickets für den Nachtzug nach Delhi besorgen soll, denn auf Bahnhof und Gedrängel haben wir nach dem letzten Tag überhaupt keine Lust mehr. Die Preise für die Tickets sind transparent und auf dem Ticket aufgedruckt, und die 150 INR (2,50 Euro) Provision für denjenigen, der die Tickets am Bahnhof besorgt, wollen wir uns gerne leisten.

Ghats in Varanasi

Wir machen uns auf den Weg zu den Ghats, für die Varanasi so berühmt ist. Ghats sind nichts weiter als größere oder kleinere Treppen, die von der Stadt zum Ganges-Ufer führen. Von diesen gibt es in Varanasi knapp 100. Keine 2 Minuten vom Guesthouse entfernt laufen wir zunächst aus Versehen mit Schuhen durch einen Tempel, nach ein paar bösen Blicken direkt wieder zurück und schließlich doch lieber nebenan die steilen Stufen zum Jain Ghat hinunter. Die Sonne steht hoch am Himmel, es ist sommerlich warm und wir sehen den Ganges mit relativ wenig Wasser, denn die Regenzeit ist schon eine ganze Weile vorbei. Auf der Ostseite des Flusses ist nichts, keine Stadt, keine Häuser, nur ein paar Bäume, soweit wir es erkennen können. Die Stadt liegt tatsächlich nur auf einer Seite des Flusses, im Westen, wo auch wir uns befinden.

Wir laufen nach Norden, den Ganges zu unserer rechten Seite und sind erstaunt, was wir hier sehen. Alle paar Meter kommt ein neuer Ghat, meistens ist dessen Name auf einem der Gebäude angebracht, so dass die Orientierung leicht fällt. Am und im Fluss sehen wir allerlei Menschen, die baden, einen Schluck des trüben Wassers nehmen oder ihre Kleidung waschen. Es scheint, als ob ein Bad nicht vollständig wäre, wenn man nicht den Kopf ins Wasser taucht.

Auf den Stufen begegnen uns viele Kühe, Hunde, Menschen und alle Formen von Ausscheidungsprodukten der eben genannten. Es riecht hier mal nach Fäkalien, dort eher nach Urin, im besten Fall einfach nur nach Kuhmist, an manchen Stellen ist der Geruch fast unerträglich. Einige der Ghats sind wohl öffentliche Toiletten. Was wir sehen und riechen, lässt keinen Zweifel zu.

Die Erlösung kommt, als wir Asha und Martin treffen, die gerade das gleiche tun wie wir. Die beiden Polen waren am Vortag mit uns zusammen im Jeep von der Grenze nach Gorakhpur gereist, wir sind froh, bekannte Gesichter zu sehen. In einem gemütlichen Café sieht die Welt bei einem Masala Chai, dem typischen Gewürztee, schon ein bisschen besser aus.

Nachmittags bekommen wir im Guesthouse die bestellten Zugtickets, leider eine Klasse schlechter als wir gehofft hatten, aber immerhin ein Schlafabteil im Nachtzug. Für 1500 INR (25 Euro) soll uns der Zug am übernächsten Tag nach Delhi bringen. Marsi liebäugelt schon damit, dass wir von dort direkt weiterfliegen auf eine gemütliche Insel, Hauptsache raus aus Indien.

Bootstour auf dem Ganges

Kurz vor Sonnenuntergang treffen wir uns wieder mit Asha und Martin, wir chartern ein Ruderboot mit Fahrer für 100 INR (1,70 Euro) und lassen uns in dem kleinen Holzboot über den Ganges schaukeln. Der Sonnenuntergang ist unspektakulär, da die Sonne hinter der Stadt untergeht. Als wir den ersten Burning Ghat erreichen, ist es bereits dunkel. Viele kommen nach Varanasi, um hier zu sterben oder um hier ihre verstorbenen Angehörigen zu verbrennen. Das geschieht hier ganz traditionell an den Burning Ghats: ein großer Holzhaufen, den Körper darauf, noch mehr Holz darüber, anzünden, warten, fertig. Ein paar Stunden später werden die Rest einfach nach unten in den Ganges gefegt. Wir sehen ein paar große Feuer brennen, können aber vom Boot aus keine Details erkennen.

Weiter oben gibt es einen weiteren Burning Ghat, hier brennen Tag und Nacht 7 oder 8 große Feuer gleichzeitig. Wir steigen aus dem Boot aus und wollen den zurückgelegten Weg am Ufer zurücklaufen. Auch aus der Nähe können wir in den riesigen Feuern nicht genau erkennen, wer oder was da eigentlich verbrannt wird, aber die Vorstellung alleine genügt uns. Weiter südlich werden wir Teil einer riesigen, allabendlichen Ganga-Aarti-Zeremonie, auch Puja genannt. Ein paar Priester tanzen auf einer Bühne und machen Musik, Hunderte Menschen umringen uns. Oft strecken uns Inder ihre rechte Hand entgegen, doch sobald man dies erwidert, bekommt man eine Handmassage angeboten, ob man will oder nicht. Bezahlt werden muss natürlich auch. Wir haben den Trick schnell verstanden und wissen uns zu wehren.

Abendessen mit dem größten Inder

Nach einer guten Stunde im abendlichen Gewusel an den Ghats sitzen wir zu viert in einem kleinen Restaurant und bekommen ein fantastisches Essen serviert. Wir machen die erste Begegnung mit Paneer, einem weißen, recht geschmacklosen tofu-artigen Käse, der aber durch passende Saucen und einem Brot oder Kartoffelfladen richtig lecker schmeckt. Immer wieder fällt mein Blick auf einen Inder am Nachbartisch, der unglaublich große Hände und Füße zu haben scheint. Beim Verlassen des Restaurants steht dieser auf und begrüßt uns: Er ist mit 2,30 m der größte Inder, lebt in Varanasi und möchte gerne meine Schuhe anprobieren, um zu sehen, ob sie ihm auch passen würden. Alles an ihm ist unfassbar groß, der Kopf, die Finger, einfach alles. Nachdem wir beide unsere Schuhe ausgezogen haben, wird der Plan schnell wieder verworfen, denn meine Schuhe hätten locker Platz gefunden in seinen indischen Schuhen mit geschätzter Größe 55.

Gegen 22:00 Uhr laufen wir zurück zu unserem Guesthouse, verlaufen uns in den engen Gassen und steuern mit Hilfe meines Kompasses wieder den Ganges an, von wo aus wir auch den richtigen Ghat finden. Leider ist der Zugang um diese Zeit geschlossen, überhaupt ist auf den Ghats um diese Zeit nichts los. Viele Inder schlafen in Decken eingewickelt auf ihren Booten auf dem Ganges, hier und da sehen wir noch jemanden laufen. Wir nehmen die Abkürzung durch den kleinen Tempel, ziehen dieses Mal die Schuhe vorher aus und sind froh, als wir endlich unser Guesthouse gefunden haben.

Bootstour zum Sonnenaufgang

Nach einer kurzen Nacht sehen wir die beiden Polen Asha und Martin am nächsten Morgen schon um 6:00 Uhr wieder, wir chartern erneut ein Boot, dieses Mal für 2 Stunden. Die Sonne geht langsam auf über der östlichen Seite der Stadt, wo nichts ist außer ein paar Bäumen. Nach anderthalb Stunden auf dem Ganges steigen wir aus, etwas weiter nördlich als am Vorabend. Das Leben hat die Ghats wieder voll im Griff, die Inder baden wieder, waschen sich, tauchen ihre Köpfe unters Wasser, trinken einen Schluck und geben sich den heiligen Ritualen hin.

Eine halbe Stunde später sitzen wir mitten im Gewusel in einem kleinen Restaurant zum Frühstück. Neben uns hängt die Speisekarte an der Wand, wir können weder mit den Hindi-Bezeichnungen noch mit ihren englischen Übersetzungen viel anfangen und bestellen ein paar Gerichte, deren Klang sich zumindest gut anhört. Es ist erstaunlich lecker, aber auch scharf und sehr reichhaltig, anders als unsere bisherigen Frühstücke. Zum Dessert probieren wir ein paar der kleinen Süßigkeiten, die hier angeboten werden. Viele sind scheinbar mit Alufolie bedeckt, es stellt sich aber heraus, dass dies hauchdünnes Silberpapier ist und zum Mitessen gedacht ist.

Sightseeing in Varanasi

Wir mieten uns ein Tuktuk und geben uns dem Varanasi-Sightseeing-Programm hin. Mitten auf dem Universitätsgelände im Süden der Stadt ist ein Tempel, den wir eine Stunde lang besichtigen. Hier ist alles anders als im sonstigen Varanasi, es gibt keinen Müll, es stinkt nicht, und hier machen die hiesigen Maler und Stuckateure offenbar ihren größten Umsatz, denn ausnahmslos alle Fakultätsgebäude sind gepflegt und gut in Schuss.

Zum Touristenprogramm gehört natürlich auch der Besuch einer Seidenweberei. Wir sehen zwei Weber an hölzernen Webstühlen, welche mit Hilfe eines äußerst analogen Computers verschiedenste Muster weben können: Mit Lochkarten wird das Muster vorgegeben, mit jedem Webvorgang rückt die Karte ein Stück weiter und der Sari (ein 6 m langes Tuch) wird Faden für Faden zu einem bunten Kleidungsstück. Faszinierend.

Am Abend genießen wir ein hervorragendes Abendessen im Restaurant Keshari ein paar Kilometer nördlich von unserem Guesthouse. Wir lassen uns mit einer Fahrradrikscha hinbringen und sind entsetzt über die Hektik und die Lautstärke des Verkehrs in den engen Straßen, die wir ungefiltert und ohne Scheiben direkt neben unseren Ohren erleben. Wir sehen zufällig eine Hochzeitszeremonie auf der Straße, statt Sitars und Tablas spielen die Musiker hier aber Tuba und Posaune, fast wie bei uns zu Hause. Vor und hinter dem Festzug fahren Lkw mit riesigen Dieselgeneratoren, die Strom liefern für die vielen Lampen, die den Zug begleiten.

Der nächste Morgen beginnt wie üblich, irgendetwas stört unseren Schlaf. Dieses Mal ist es aber nicht der Wecker, es sind auch nicht die Tempelglocken oder das Kleinkind nebenan, sondern unsere spanischen Zimmernachbarn, die zur Ganges-Sunrise-Tour aufbrechen und wie selbstverständlich davon ausgehen, dass auch alle anderen Gäste um 5:45 Uhr schon wach sein wollen. Als wir zum Frühstück gehen, sind die Spanier von ihrem Ausflug schon wieder zurückgekehrt und ich kann mir ein „Thank you so much for that wonderful morning!“ nicht verkneifen.

Wir packen unsere Rucksäcke und verlassen das Singh Guesthouse um 12:00 Uhr, um 15:45 Uhr soll unser Zug nach Delhi abfahren. Was auf dieser Übernacht-Fahrt alles passiert ist, könnt ihr im nächsten Artikel lesen. Natürlich findet ihr hier ein paar der unvergesslichen Eindrücke aus Varanasi: