Ganze 17 Mal habe ich an thailändischen Grenzen den blauen Einreisestempel in den Pass gedrückt bekommen, seit ich zum ersten Mal im März 2000 dort gewesen bin. Danach verbrachte ich beinahe jedes Jahr ein paar Wochen in Südostasien, nicht nur in Thailand. Es war jedes Mal besonders und einzigartig. Ein bisschen mystisch und spirituell, fremdartig und geheimnisvoll. Eine Mischung aus guten und schlechten Gerüchen und Geschmäcken, aus Action und Entspannung. Völlig anders als Europa, aber doch so einfach zu erreichen. Touristisch schon so weit erschlossen, dass man sich über bequeme Fortbewegung keine Sorgen machen musste. Und günstig war es.

Das ist lange her. Inzwischen behaupten manche, Thailand gesehen zu haben, nachdem sie 2 Wochen Pauschalurlaub am Partystrand Chaweng Beach auf Ko Samui verbracht haben. Auch ich habe natürlich längst nicht alles gesehen, aber irgendwie reicht es mir doch. Schon bei unserer ersten Weltreise hat sich sowohl bei Marsi als auch bei mir eine gewisse Südostasien-Müdigkeit eingestellt. Das zeigt sich zum Beispiel in unserem kritischen Review über das Urlaubsparadies Bali, in dem die Insel nicht sehr gut wegkommt.

Als wir jetzt nach vielen Monaten in Australien und Neuseeland ein paar Tage in Bangkok verbringen, stellen wir fest, dass sich nicht viel verändert hat. Im Chao Phraya River und in den Klongs schwimmt der gleiche Dreck wie sonst auch. Der Verkehr ist chaotisch wie immer. Eine Straße zu überqueren ist für Unerfahrene noch gefährlicher als früher, weil gefühlt doppelt so viele Autos, Busse und Motorräder unterwegs sind. Die Luft ist zum Schneiden. Die schwüle Hitze lässt uns schwitzen, sobald wir im Hotelzimmer nur daran denken, die Klimaanlage auszuschalten. Immer noch stehen an jeder Ecke Tuktuks, diese unerträglich lauten und stinkenden Dreckschleudern, deren Fahrer nur darauf warten, einen neuen unerfahrenen Farang (das oft gehörte Wort für einen westlichen Ausländer) übers Ohr zu hauen. Selbst bei Taxifahrten mit Taxameter muss man inzwischen aufpassen, wir haben in einem Artikel darüber berichtet.

Dieses Mal sind wir mit Kind unterwegs und stoßen auf ganz neue Probleme, die uns die Zeit in der Millionenstadt nicht gerade versüßen. Wie lange wollen wir Dari den Smog zumuten? Auch wenn er sich nicht beklagt, denken wir als Eltern darüber nach. Sonnencreme tagsüber, das ist klar bei der intensiven Strahlung. Abends, rechtzeitig vor der Dämmerung, brauchen wir einen Mückenschutz. Auch wenn wir zumindest in Bangkok keine Angst vor Malaria haben müssen, sind die Moskitos lästig. Wir können Dari kaum alleine laufen lassen, auch wenn er nicht unüberlegt auf Straßen läuft. In Bangkok lauert nicht nur auf Straßen Gefahr: Gerne benutzt man auch mal den Gehweg mit dem Motorrad, wenn die Straße verstopft ist. Verkehrsteilnehmer ohne Motor wie Obstwagen und Karren aller Art scheinen ohnehin besondere Privilegien zu genießen.

Wie immer laufen wir gern und viel, weil wir dadurch eine Stadt besser kennenlernen können als vom Auto aus. Auch Dari läuft gern, aber nicht immer. Ihn kilometerweit auf dem Arm oder in seiner Rucksacktrage zu tragen, ist bei schwülen 35 Grad ein zweifelhaftes und auf jeden Fall sehr schwitziges Vergnügen. Meistens nehmen wir also unseren Reisekinderwagen mit, und damit lernen wir Bangkok von einer ganz neuen Seite kennen. Während wir zu Hause – wir denken uns die Parksünder einmal weg – vom Allgäu bis zur Nordsee auf guten deutschen Bordsteinen laufen könnten, ohne auch nur ein Mal auf die Straße ausweichen zu müssen, kommen wir in Bangkok keine 20 m weit, wenn wir unser Hotel verlassen. Auf unseren bisherigen Reisen ohne Kind war es uns herzlich egal, ob wir alle paar Meter neben dem Bordstein laufen müssen, wir haben es in Kauf genommen, es war einfach so. Mit Kind und Kinderwagen wäre es aber schon von Vorteil, wenn man einen gewissen Sicherheitsabstand zum mörderischen Straßenverkehr hätte.

Als Bürger eines Landes, in dem man Falschparker und Bordsteinversperrer durch einen Anruf bei der Polizei anschwärzt, kann man sich gar nicht vorstellen, was auf den Bordsteinen der restlichen Welt alles den Weg für einen Kinderwagen versperren kann: Lkw, Autos, Motorräder und Fahrräder sind ja nur der Anfang und allzu offensichtlich. Es gibt aber auch komplette Essensstände, Stühle und Tische von Restaurants, Obststände und Losverkäufer. Nicht zu vergessen die riesigen Hügel aus Sand, Kies und sonstigen Materialien, die man demnächst beim Bau des neuen Hauses nebenan benötigen könnte. Natürlich findet man all diese Hindernisse nur dort, wo die Bordsteine noch gut in Schuss sind. Wenn der Weg denn mal nicht versperrt ist, müssen wir ausweichen, weil wir sonst in Löcher stürzen würden, in denen wir problemlos unseren großen Rollkoffer versenken könnten. Die kleinen Öffnungen, die mal große Löcher werden wollen, kündigen sich ganz gerne dadurch an, dass die großen Gehwegplatten auf der Seite ein paar Zentimeter nach oben schnellen, wenn man auf der anderen Seite mit dem Fuß drauftritt. Über Metallstücke und offene Enden von Kabeln aller Art wollen wir lieber gar nicht sprechen. Als ob das alles nicht schon genug wäre, hört der Bordstein bei Einmündungen, Kreuzungen, Zebrastreifen und Hauseinfahrten meist mit einer vertikalen Kante einfach für ein paar Meter auf.

Es gibt aber auch weniger flexible Hindernisse, die darauf schließen lassen, dass die Stadtplaner nicht sehr weit gedacht haben: Nicht selten finden wir Verkehrsschilder, Masten von Strom- oder Telefonleitungen und Straßenlaternen, die den ohnehin schon schmalen Gehweg in der Mitte teilen, sodass man sogar als Fußgänger nur seitwärts vorbeikommt, mit der Schulter zuerst.

Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. In Thailand gibt es offenbar keine Gesetze und keine Regeln, was die Benutzung von Bordsteinen betrifft. Wir laufen also meistens auf der Straße und vertrauen den Verkehrsteilnehmern, sie werden uns schon bemerken und genügend Abstand halten. Die meisten tun es auch, aber nicht alle. Wenn wir an wartenden Fahrzeugen vorbeilaufen, können wir nur hoffen, dass die Rotphase der Ampel noch so lange dauert, bis wir wieder auf den rettenden Bordstein erreicht haben. Wer schon einmal in der Dieselabgaswolke eines anfahrenden Busses in Bangkok gestanden hat, kann sich vorstellen, was ich meine.

Genug gemeckert, wir sind ja schließlich nicht zu Hause. Und wir kommen ja nicht zuletzt nach Thailand, weil es eben anders ist als zu Hause. Da sich aber all die Dinge, die uns in den letzten Jahren immer wieder hierher kommen ließen, nicht sehr verändert haben, fehlen uns neue, gute Erfahrungen. Man könnte sagen: Wir kennen es einfach schon.

Wir sind auch nicht mehr bereit, uns der ständigen Touristen-Abzocke hinzugeben. Darüber könnten wir ein Buch schreiben, als Beispiel dient unser Artikel über die Abzocke mit dem manipulierten Taxameter. Nach 17 Einreisen möchte ich behaupten, dass ich die meisten Tricks kenne. Dazu laufe ich mit einer gesunden Portion Skepsis durch die Stadt, um nicht allzu oft auf neue Tricks hereinzufallen. Die jungen Farangs ohne viel Erfahrung tun mir aber ein bisschen leid. Wie oft haben wir beobachtet, wie ein Tuktukfahrer tatsächlich wieder ein junges Pärchen dazu überredet hat, ihnen für 10 THB (ca. 0,25 Euro) die wichtigsten Sehenswürdigkeiten Bangkoks zu zeigen, nur um danach von einem Juwelier zum nächsten zu fahren? Wie viele Schlepper warten immer noch vor dem Königspalast, um den Touristen zu erzählen, dass der Palast über Mittag geschlossen ist und eine überteuerte Bootsfahrt doch eine gute Möglichkeit wäre, die Zeit zu überbrücken? Bangkok eben, so war es schon immer und so wird es auch immer bleiben.

Wir haben aber dieses Mal einen Joker dabei, der dafür sorgt, dass wir in vielen Situationen die gute Stimmung behalten und dass wir über so manche schlechte Erfahrung einfach hinwegsehen. Der Joker ist unser Sohn Darian: keine 2 Jahre alt, noch etwas tapsig auf dem Füßen, blond und mit seinen ersten Sprechversuchen unglaublich süß. Er selbst lässt uns natürlich in vielen Situationen die gute Stimmung behalten, keine Frage, aber das meine ich nicht. Vielmehr geht es um die Thais, die im Umgang mit Kindern zeigen, wie sie wirklich sind, nämlich offenherzig und liebevoll. Damit zaubern sie uns allzu oft ein Lächeln auf die Lippen.

Kaum waren wir mitten in der Nacht in Bangkok gelandet, durften wir in einer völlig unerwarteten Situation erfahren, was dies bedeutet. Vom Gate laufen wir einen knappen Kilometer bis zu den Immigration-Schaltern und trauen unseren Augen kaum: Obwohl gar nicht so wenige Schalter geöffnet sind, haben sich Schlangen von beachtlicher Länge gebildet. Unter einer Stunde Wartezeit werden wir unseren Einreisestempel wohl nicht bekommen. Brav stellen wir uns an, schon eilt ein Mitarbeiter herbei und bittet uns, ihm zu folgen. Familien mit Kindern kommen schneller dran, sagt er. Wir gehen an den Wartenden vorbei und stehen ganz rechts an einem Schalter mit nur 10 Touristen vor uns. Der Mitarbeiter verschwindet wieder, eine halbe Minute später kommt ein Grenzbeamter in schicker Uniform und öffnet extra für uns einen der bisher unbesetzten Schalter. Weniger als eine Minute später ist der Stempel im Pass, kurz darauf ist unser Gepäck abgeholt und wir sind fertig. Was für eine Sonderbehandlung! Und wir haben weder darum gebeten noch etwas dafür bezahlt.

Am nächsten Tag geht es weiter. Wir laufen durch Banglampoo, das gute alte Traveller-Viertel. In einer Nebenstraße der berühmten Khao San Road bleiben wir vor einem Massagesalon stehen, Dari wird von den Masseurinnen bestaunt, die gerade nichts zu tun haben. Schnell wird die Tochter der Verkäuferin vom Souvenirstand nebenan hergeholt, sie ist in Daris Alter und unglaublich spritzig und frech. Die beiden spielen eine halbe Stunde miteinander und sorgen nicht nur bei uns und den Masseurinnen für gute Laune.

Im Shop schräg gegenüber räumt Dari den Laden um. Jeder der für Thailand so typischen kleinen Holzfrösche muss sorgfältig vom Korb auf den Boden geräumt werden, aber nicht jeder findet seinen Weg zurück in den Korb. Auch vor weniger robusten Souvenirs macht er nicht halt, wir eilen hinüber und wollen Schlimmeres vermeiden. „Mai pen rai“, das macht doch nichts! Die Verkäuferin gibt uns zu verstehen, dass wir uns keine Sorgen machen sollen. Natürlich kaufen wir ihr einen Frosch ab, sie schenkt uns einen kleinen Elefanten aus Stoff dazu.

Manchmal weiß Dari gar nicht, wie ihm geschieht, wenn fremde Menschen sich zu ihm herunterbeugen und ihm lächelnd „Sawadee ka“ entgegenschmachten, die Begrüßungsformel des weiblichen Geschlechts. „Sawadee kap“ (die männliche Form) hört er ebenso oft, auch Männer finden unseren blonden Sohn faszinierend. Für uns ist das kein Problem, wir kennen und schätzen die asiatische Offenheit. Wenn chinesische Touristen allerdings ohne zu fragen mit ihrer Kamera eine Nahaufnahme von Daris Gesicht machen wollen, stelle ich mich schon mal in den Weg und sage „One photo 500 Baht!“, was die Situation elegant auflöst und den verstörten Fotografen schnell in die Flucht schlägt.

Es bleibt aber nicht bei Sawadee und Lächeln, einige Thais sind für unseren Geschmack ein wenig zu offensiv. Es passiert fast im Minutentakt, dass Dari im Vorbeigehen angefasst wird, egal ob in der Trage, im Kinderwagen, bei uns auf dem Arm oder wenn er selbst läuft. Besonders gerne am Arm, manchmal am Bein, oft auch im Gesicht wird er betatscht. Seine blonden Haare machen ihn zu einem kleinen Star, dabei scheinen selbst die Asiaten zu vergessen, dass man den Kopf üblicherweise nicht anfasst. Bei unserem Sohn machen sie eben eine Ausnahme.

Dari selbst aber hat einige Wochen lang mit dieser neuen Erfahrung zu kämpfen. Anfangs war es ihm deutlich anzumerken, dass er schon nach einigen neugierigen Blicken überhaupt keine Lust mehr hatte auf Sawadee, egal ob ka oder kap. Viel öfter als wenige Wochen zuvor in Neuseeland wollte er freiwillig auf dem Arm getragen oder in seinem Kinderwagen geschoben werden. Es dauerte eine ganze Weile, bis er von alleine auf die Menschen zuging, die ihm sympathisch erschienen.

Inzwischen flirtet er im Bus wie selbstverständlich mit den Thailänderinnen auf dem Nachbarsitz, läuft herum und verschenkt Frangipani-Blüten vom Baum nebenan an diejenigen, die ihm zulächeln. Wir wissen, dass er sofort zu uns kommt, wenn ihm jemand nicht gefällt. Bei uns fühlt er sich sicher. Das respektieren auch die Thais, dann bleibt es bei Sawadee und einem Lächeln.

Schon Wochen vor dem Flug nach Bangkok haben wir Dari den Wai (die traditionelle Begrüßungsgeste in Thailand) beigebracht: Die Hände vor die Brust und dazu „Wawawa“ sagen, das lassen wir für sein Alter als „Sawadee kap“ durchgehen. Nachdem er es bei den Thais ein paar Tage lang beobachtet hat, erwidert er ab und an den Wai mit „Wawawa“, seine Hände vor der Brust. Damit wird er vom Star zum Superstar!

In Laos bedankt man sich mit „Kob Chai“, das ist Dari noch viel zu schwierig. Von ganz alleine hat er sich aber angewöhnt, „Dadai“ zu sagen, wenn wir das Wechselgeld bekommen oder uns von jemandem dankend verabschieden. Die Reaktion der Laoten auf unseren Superstar können wir mit Worten kaum beschreiben. Liebevoll wird er von vielen „Farang noi“ genannt, das bedeutet „kleiner Fremder“.

So unbequem es oft ist, mit Kind durch Südostasien zu reisen, so sehr wiegt der offene und herzliche Umgang der Asiaten beinahe alles wieder auf. Auch wenn sich in den Ländern selbst nicht viel verändert hat, bekommen wir durch Dari genau die neuen und guten Erfahrungen, die uns gefehlt und uns müde gemacht haben. Wenn wir in wenigen Wochen wieder in Deutschland sein werden, müssen wir uns wohl erst wieder daran gewöhnen, dass wir in Wirklichkeit gar keinen Superstar haben, sondern einfach nur ein Kind.

Wir haben euch ein paar Eindrücke unserer ersten Tage in Bangkok mitgebracht: