Indien: Das Land der Gegensätze

Indien – das Land der leuchtenden Farben, exotischen Gewürze, Gerüche und uralter Weltkultur, atemberaubender Gärten der ehemaligen Paläste und freundlichen Menschen. Incredible India.

So viel zur Theorie.

Indien – unglaublich groß, dreckig, chaotisch, undurchschaubar, laut, geheimnisvoll, einfach anders. Ein Land, in dem man sich als Frau durchaus unwohl fühlen kann, ein Land, in dem Menschen die Bedeutung der Worte Distanz und Intimsphäre nicht kennen. Incredible India.

Willkommen in der Realität.

In der Tat ein Land der Gegensätze, der eine oder andere Reiseführer beschreibt es als Kulturschock. Nette Umschreibung, wie ich finde.

Okay, dieses Land und ich hatten keinen guten Start. Ganz und gar nicht! Nachdem Daniel und ich schon in der Grenzstadt Sunauli etwas gereizt waren, ging es Schlag auf Schlag so weiter. Pech, dachten wir. Ist ja nur in der Grenzumgebung so. Wenn wir erst einmal in Varanasi sind, in der Stadt, die doch so toll sein soll, dann geht es uns bestimmt auch besser. Doch dort angekommen erwartete uns noch ein schlimmerer Anblick als bisher. Und dann immer wieder. Und es wurde dreckiger. Und lauter. Immer wenn wir dachten, es kann jetzt nur noch besser werden, wurden wir belehrt, dass es nicht besser wird. Vielleicht auch nicht schlimmer, aber es hatte alles ein konstantes Level.

Ihr fragt euch bestimmt, wieso ich dieser Meinung bin. Viele andere Touristen finden das Land total klasse und kommen immer wieder her. Also wo ist das Problem? Hier mein persönliches Indien-Sammelsurium in loser Reihenfolge:

Normale Preise und Touristenpreise

Indien ist im Prinzip ein sehr günstiges Reiseland, wenn auch manchmal nur für Inder. Die Preise für Essen und Unterkünfte (Hotels möchte ich es nicht immer nennen) sind im Vergleich zu Europa deutlich niedriger. Man muss natürlich trotzdem immer aufpassen, wo man essen geht. In einem Touristenviertel bezahlt man meistens auch Touristenpreise. Aber gut, das weiß man ja. Fast immer wird das Vierfache des Preises verlangt, auch beim Obst beispielsweise. Immer schön mit dem Grinsen im Gesicht. Irgendwann kennt man die Preise und lässt sich nicht mehr über den Tisch ziehen. Die Eintrittsgelder hingegen kann man nicht verhandeln, die stehen fest. Und sie sind gepfeffert. Ein etwas krasses Beispiel: Taj Mahal für Inder 20 INR (0,33 Euro), für Ausländer 750 INR (12,70 Euro).

Überlandfahrten mit der Bahn (Busse wollten wir danach gar nicht mehr testen) sind extrem langwierig. Erst wartet man auf einen Zug, dann wartet man nochmal, weil er sich in der Ankunft verspätet. Dann sitzt man drin und wartet wieder. Auf was auch immer. Auf entgegenkommende Züge, auf schönes Wetter, auf die Erleuchtung. Wenn ein Zug nur 8 Stunden Verspätung hat, dann hat man noch Glück. Na, da bin ich aber froh!

A propos Erleuchtung: Inder sind ein sehr gläubiges Volk. Finde ich gut. Die Tempel sind laut, sehr laut. Finde ich nicht gut. Glockengebimmel und Trommeln morgens um 5 sind einfach hardcore. Und da jede Stadt viele Tempel hat, ist der Schlaf sehr früh schon vorbei.

Mörderischer Verkehr

Als Ausländer ein Auto (oder ein anderes Gefährt) auf indischen Straßen zu bewegen gleicht einem Selbstmord. Nein, ich übertreibe nicht. Es ist einfach nur gefährlich. Der technische Standard ist eine Welt für sich und einer der Gründe dafür. Es wäre lächerlich, in einem Atemzug von TÜV und den rollenden Rostlauben auf den Straßen zu sprechen. Wir haben sehr wohl auch gute Autos gesehen, aber die könnte ich an einer Hand abzählen. Der zweite Grund ist der unerschütterliche Glaube eines jeden Inders an seine Wiedergeburt und ein besseres Leben dank des guten Karmas in diesem Leben. Also fährt man einfach. Wer bremst, verliert. Ja, ein Fels kann sich nun mal nicht bewegen. Ein Abhang auch nicht. Ich habe einige umgekippte Busse gesehen – natürlich mit mindestens 20-30 Schaulustigen drumherum.

Wer nicht hupt, ist kein guter Autofahrer. Hier hupen alle. Immer. Aus keinem wirklich ersichtlichen Grund, auch auf einer menschen-, tier- und autolosen Straße. Manchmal dient es als Kommunikationsmittel, das haben wir schon herausgefunden. Es heißt dann entweder „Ey, mach Platz da!“ oder „Du Volldepp!“ oder „Vorsicht, ich komme jetzt!“ oder „Schau mal, was für eine tolle und laute Hupe ich erst hab!“. Nachts hupt man nicht. Da fährt man grundsätzlich mit Fernlicht und wenn man „aufblenden“ will, schaltet man das normale Licht an. Tolle Technik. Lkw fahren immer mitten auf der Straße, auch wenn sie einem entgegenkommen. „Weiche aus, wenn du weiterfahren willst, ich bin größer“. Die Rindviecher, die überall dumm in der Gegend herumstehen, machen die Sache auch nicht besser. Die Menschen „rempelt“ man schon mal an mit dem Kotflügel, einer Kuh würde das nicht passieren.

Gestank

Indien stinkt im wahrsten Sinne des Wortes. In vielen Städten gibt es eine Kanalisation, eine offene selbstverständlich. Sie verläuft links und rechts der Straßen. Ich will eigentlich gar nicht wissen, was da alles herumschwimmt und was tagsüber noch hineingeworfen wird. Unsere Reisefreundin Julia meinte einmal: „Stell dir mal vor, du landest nachts mit einem Fuß da drin, weil du es nicht siehst.“ Brrr. Es gibt öffentliche Toiletten, nur für Männer. Die einen benutzen tatsächlich gemauerte Pissoirs. Wir hatten etwas ähnliches in Delhi am Eingang der Gasse, in der sich unser erstes Hotel befand. Abends wurden da fröhlich nebenan Hähnchenschenkel gebraten und verkauft. Mjam! Die anderen benutzen einfach das, was ihnen im Weg steht, wenn sie eben müssen. Wie ein Mitreisender in Tibet meinte: „I am a man. The whole world is my toilet.“ Es ist übrigens egal, ob man groß oder klein muss. Nur keine falsche Scham. Was raus muss, muss raus. Wir Deutschen stellen uns da aber auch an! Die Kühe, Hunde und was da noch so herumwuselt, machen es genauso. Schon doof, wenn man ein Land mit dem Blick nach unten verbringt, weil man nicht in eine Urinpfütze oder in einen Scheißhaufen treten will. Und nein, ich habe keine Flipflops getragen, sondern feste Schuhe! Ach, habe ich schon erwähnt, dass Babys hier normalerweise keine Windeln tragen? Die Ansprüche sinken mit der Zeit.

Tricks und Abzocke

Ich war den Indern von Anfang an etwas skeptisch gegenüber eingestellt. Nicht zu viel, aber eine gesunde Portion Vorsicht war dabei, wie in jedem anderen Land eben auch. Eines habe ich während unseres Aufenthalts gelernt: Inder bescheißen. Im großen Stil. Wer sich erwischt, einem Inder zu trauen, der sollte sich nicht wundern, wenn er übers Ohr gehauen wird. Wir haben so oft erlebt, dass man uns anlügt. Es wird irgendwas felsenfest behauptet, was sich nachher schlicht als eine riesengroße Lüge herausstellt. Und wir Blödis fallen auch noch drauf rein. Keiner unterhält sich einfach aus purer Freundlichkeit mit dir. Jeder hat einen Freund, eine Familie, ein Hotel oder ein Wasauchimmer, das man sich unbedingt anschauen muss. Das kommt natürlich nach 5-10 Minuten Geplänkel, in denen man hofft, endlich mal einen netten Menschen getroffen zu haben. Pech gehabt. Gibt man kein Trinkgeld, motzen sie. Gibt man ihnen Trinkgeld, motzen sie auch, weil es zu wenig ist. Manchmal hätte ich gerne Hindi verstanden, nur um herauszufinden, was sie da so miteinander reden.

Shoppen will man hier auch nicht wirklich. Man darf sich nichts anschauen, denn sonst wird man in den Shop förmlich reingezogen. Also schön auf den Boden schauen, man will ja eh nicht in irgendwas reintreten. Die Preise sind wie schon erwähnt so überteuert, dass es gar kein Spaß macht zu handeln. Sie geben einem das Gefühl, sie würden morgen verhungern, wenn sie deinen genannten Preis annehmen würden.

Bettler

Gibt man den bettelnden Kindern etwas zu essen, gibt es zwei Varianten: Sie nehmen es an und bringen Sekunden später 20 weitere Kinder mit. Oder sie nehmen es nicht an und fragen lieber nach Schokolade oder Geld. Frauen mit Babys betteln dich um Milch an. Leider auch nur eine der zahlreichen Maschen, auf die wir zum Glück nicht hereingefallen sind: Sie ziehen dich in einen Shop, du kaufst die überteuerte Milch für das Kind. Sobald du aus dem Sichtfeld verschwunden bist, wird die Milch zurückgegeben und der Shopbetreiber teilt sich den Gewinn mit der Mutter.

Als Frau in Indien

Was ich ganz besondern in Indien gemerkt habe und was mich persönlich extrem gestört hat, war das Verhalten Frauen gegenüber. Daniel hat ja schon in einem seiner Berichte erwähnt, dass wir so gut wie nie Frauen im Service gesehen haben. Weder in Shops noch in Supermärkten noch in Hotels oder Restaurants. Das merkt man auch sehr deutlich an der Art, wie diese Läden geführt werden und wie lieblos das manchmal ist.

Als Frau wird man angestarrt. Punkt. Wenn ich beim Frühstück merke, dass draußen vor der Tür die Leute extra stehen bleiben, um mich anzuschauen, dann kriege ich Aggressionen. Daniel wurde auch angestarrt, wahrscheinlich wegen seiner Größe. Ich dagegen konnte mich nicht mal mit einem Schal im Gesicht wirklich davor schützen. Frauen starren mich seltsamerweise auch an und finden das anscheinend auch ganz normal. Ich war mehrmals kurz davor, manchen Leuten ins Gesicht zu springen. Wenn ich Verhandlungen über den Zimmerpreis geführt habe, bekam meistens nur Daniel die Antwort, nicht ich. Er wurde morgens mit Handschlag begrüßt, für mich gab’s nicht mal einen Blick, geschweige denn ein „Guten Morgen“.

Noch einmal nach Indien?

Man sagt immer, dass man erst am Ende einer Reise einschätzen kann, ob ein Land für einen persönlich die Reise wert war. Ich muss sagen, dass mich mein Gefühl vom Anfang nicht getäuscht hat, was ich eigentlich schade fand. Während der ganzen Zeit habe ich gehofft, dass sich etwas ändert und ich doch noch „das“ Indien finden werde, von dem ich dachte, dass es irgendwo im geheimnisvollen Rajasthan existiert. Ich habe es nicht gefunden.

Julia meinte, wir könnten uns an ihrem 60. Geburtstag alle wieder in Indien treffen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das tatsächlich machen würde. Eines ist sicher: Es war nicht alles negativ, es gab auch nette Momente. Eine gute Sache hat das Ganze dann trotzdem und daher hat sich die Reise doch gelohnt. Man lernt den Lebensstandard schätzen, den man zu Hause hat. Man kann sich unglaublich über eine saubere Toilette freuen. Und man freut sich auf und über die wahren Freunde und die Familie.