Unser ursprünglicher Plan war, von Kathmandu (Nepal) nach Delhi (Indien) zu fliegen. Unser Visum für Nepal war bis zum 27.11. gültig, am 2.12. hatten wir ein Date mit Julia aus Berlin, die wir im Vorjahr auf unserem Thailand-Trip kennengelernt hatten. Sie hat ihren Jahresurlaub genau so gelegt, dass wir sie treffen und einige Wochen mit ihr zusammen reisen können.

Da wir die 5 Tage zwischen Ablauf des Visums und dem Treffen mit Julia nicht nur in Delhi verbringen wollten und der Flug dorthin außerdem über 100 Euro pro Person gekostet hätte, entschieden wir uns, über den Landweg nach Indien zu reisen. Auf dem Weg lag Varanasi, Indiens heiligste Stadt, die bestimmt einen Besuch wert ist. Aber irgendwie kam alles anders, als wir es uns vorgestellt hatten.

Vom Chitwan-Nationalpark zur indischen Grenze

Nachdem mein Durchfall erfolgreich überstanden ist, hat Marsi am Abreisetag aus dem Chitwan-Nationalpark im Süden Nepals mit den gleichen Problemen zu kämpfen. Irgendetwas scheint mit dem Essen in unserem Safari-Resort nicht in Ordnung gewesen zu sein. Um die Fahrt nach Indien irgendwie zu überstehen, gehen wir lieber gleich in die Dorfapotheke und besorgen die richtigen Medikamente gegen Reisedurchfall, die Marsi auch recht schnell helfen.

Pünktlich um 9:00 Uhr stehen wir auf dem kleinen Busbahnhof, wo uns der Jeep absetzt. Vor uns steht ein betagter bunter Tata-Bus, der mit den Touristenbussen, in denen wir bisher in Nepal gereist waren, nicht viel gemeinsam hat. Mit gemischten Gefühlen steigen wir ein und fahren schon bald los. Den obligatorischen Frühstücksstopp machen wir neben einer Tankstelle, nach weiteren 2 Stunden erreichen wir gegen 13:30 Uhr Bhaiwara, eine Kleinstadt kurz vor der Grenzstadt Sunauli. Obwohl uns der Bus eigentlich bis zur Grenzstadt bringen soll, steigen wir hier aus, denn nicht weit entfernt liegt Lumbini, wo Buddha vor vielen vielen Jahren geboren wurde.

Grenzübergang in Sunauli

Die Suche nach einem passenden Hotel in Bhaiwara gestaltet sich schwierig, ein paar Absteigen gibt es hier, aber darunter ist einfach keine Unterkunft, in der wir die Nacht gerne verbringen wollen. Wir nehmen einen Minibus zur 4 km entfernten Grenzstadt Sunauli, ich gehe davon aus, dass ich die 5 Minuten auch geduckt stehend im viel zu niedrigen Bus verbringen kann, so schlimm kann das nicht sein. Für die hiesigen Busse bin ich aber einfach zu groß. Dass der Bus erst losfährt, wenn er bereits überfüllt ist und dann unterwegs noch so viele Leute zusteigen, bis er fast platzt, hätte man sich vorher denken können. Natürlich wäre es bequemer gewesen, einfach im Touristenbus vom Nationalpark sitzenzubleiben, aber da wussten wir noch nicht, dass wir den Besuch von Buddhas Geburtsstätte doch lieber streichen.

Schon allein die unerträglich laute Musik im Minibus direkt neben meinem rechtem Ohr geben der Grenzstadt Sunauli keine Chance, uns auch nur ein bisschen zu gefallen. Eine große Straße mit ein paar Seitensträßchen, staubig und düster, schmutzig und nach Abgasen und Dieselgenerator stinkend – es ist verdammt ungemütlich hier. Wir schauen uns 3 Hotels an, von denen keines diese Bezeichnung wirklich verdient und steigen schließlich für übertriebene 1000 NPR (10 Euro) in dem Hotel ab, das am wenigsten übel aussieht. Der Blick aus dem Fenster entführt unsere Augen auf eine riesige grau-braune Baustelle mit allerlei schwerem Gerät, hier und da pinkelt ein Bauarbeiter neben dem Bagger auf die Straße, Hunde wühlen im reichlich vorhandenen Müll. Nach dem durchfallgerechten Abendessen (Plain Rice und vegetarische Suppe) erlegen wir noch eine Handvoll Moskitos in unserem Zimmer und schlafen irgendwann ein.

Zu Fuß über die Grenze nach Indien

Wenigstens ist die Dusche am nächsten Morgen schön heiß, schon um 7:00 Uhr sind wir bereit und laufen Richtung Grenze, sie befindet sich keine 100 m von unserem Hotel entfernt. Was verbirgt sich hinter diesem so trostlosen wirkenden Grenzübergang? Indien, klar. Aber was genau? Bunte Farben, hübsche Frauen in Saris, Flöte spielende Schlangenbeschwörer, der Duft exotischer Gewürze, rote Punkte auf der Stirn, Männer mit Turban, die auf Elefanten reiten und Tiger jagen?

Dass unser Visum für Nepal bereits am Vortag abgelaufen war, interessiert hier keinen. Wir bekommen unseren Ausreisestempel und gehen weitere 50 m zum India Immigration Office. Genau genommen ist das eine schäbige Hütte mit 3 Männern, die nach dem Ausfüllen eines Formulars unser bereits in Deutschland für viel Geld beantragtes indisches Visum mit einem Haken versehen und einen Stempel daneben platzieren. Das war’s, wir sind in Indien. Goodbye Nepal, noch ein letztes Mal zurückschauen und winken!

Es ist früh morgens, immer noch grau, düster und trostlos, genau wie auf der anderen Seite der Grenze. Aber eines hat sich schlagartig mit dem Grenzübertritt verändert. Nein, keine bunten Saris und keine Wohlgerüche, sondern Müll. Überall auf der Straße liegt Müll: hier Plastikflaschen, drüben Essensreste, aber auch sehr menschliche Abfälle, wie wir dem Geruch entnehmen können. Nur nicht reintreten, immer den Blick nach unten auf die Straße, auch wenn es schwerfällt mit einem großen Rucksack hinten und dem Daypack vorne.

Nach Gorakhpur mit dem Jeep

500 m weiter stehen wir an einem Busparkplatz. Der Touristenbus nach Varanasi geht heute nicht, sagt man uns. Mist, denn damit wären wir gerne gefahren! Aber es gibt einen Local Bus, der braucht mit 13 Stunden etwas länger als der Touristenbus. Wir sehen einen solchen Local Bus abfahren, werfen einen Blick hinein und entscheiden uns sofort um. 13 Stunden auf einem Sitz, der weder der Länge noch der Breite nach nur annähernd Platz zum Sitzen bietet? Und dann mitten in der Nacht in Varanasi ankommen? Nein, das kann’s nicht sein.

Wir gehen zurück und schließen uns ein paar anderen Touristen an, die einen Jeep zur nächsten großen Stadt chartern wollen. Da es in Sunauli keine Geldautomaten gibt, tauschen wir unsere wenigen restlichen nepalesischen Rupien beim Moneychanger um und außerdem noch einen 5-Euro-Schein, damit wir wenigstens die Fahrt im Auto bezahlen können. Relativ bequem haben wir es auf der Vorderbank des Jeeps, der uns in gut 2 Stunden (inklusive Frühstücksstopp versteht sich) in die wunderschöne Großstadt Gorakhpur bringt. Im allerschönsten Viertel der Stadt steigen wir aus, im Bahnhofsviertel. Es ist unglaublich laut hier, immer noch staubig und heiß, keine Wolke ist am Himmel, die Sonne brennt. Und schön ist anders.

Gorakhpur ohne Bargeld

Unsere Mitreisenden haben bereits am Vortag übers Internet Zugtickets von Gorakhpur nach Varanasi gebucht, wir natürlich nicht, denn unsere Pläne haben sich ja erst heute spontan so ergeben. Ein kurzer Blick ins Bahnhofsgebäue macht uns schnell klar, dass sich das Anstellen nur lohnt, wenn man auch gleich ein Ticket kaufen kann, denn die Schlangen sind lang. Es gibt viele Schalter und viele Schlangen, unglaublich viele Menschen tummeln sich in und vor der Bahnhofshalle, außerdem einige Hunde und hier und da auch eine heilige Kuh.

Direkt vor der Halle ist ein Geldautomat, unsere Rettung! Leider funktioniert er nicht. Wir laufen vom Bahnhof weg, vorbei an vielen Geschäften, aber ein Geldautomat ist nicht in Sicht. Freundliche Polizisten erklären uns, dass wir noch einen guten Kilometer laufen müssten und sich dort eventuell einer befinden könnte. Alternativen gibt es nicht, da müssen wir durch. Wir tragen beide einen großen Trekking-Rucksack hinten mit ca. 15 kg, ein kleineres Daypack vorne mit vielleicht 7 kg und ich noch den Instrumentenkoffer mit der Erhu, die mich seit Peking begleitet. Das Laufen wird zur Qual, von allen Seiten werden wir an- und weggehupt, wo sollen wir denn hinschauen? Nach vorne, hinten, links und rechts, woher die Autos und Motorräder kommen oder doch lieber nach unten, damit wir nicht in Schlaglöcher oder in Kuh- und andere Haufen treten?

In der nächsten Viertelstunde finden wir Geldautomaten, bestimmt 5 Stück, aber keiner funktioniert. „Invalid transaction“, „Transaction declined“, wir können es nicht mehr sehen. Wir überqueren die 4-spurige Hauptstraße ein paar Mal, riskieren unser Leben, fragen uns durch, probieren es immer wieder und geben genervt auf. Wir suchen jetzt eine Bank, eine Filiale, einen Menschen, der uns sagen kann, was mit unserer Karte oder mit den Geldautomaten nicht stimmt. Hier gibt es alles, Autowerkstätten, Restaurants, Schuhgeschäfte, Elektrobedarf, Kurzwaren, Schneider, einfach alles, aber keine Bank. Der erlösende Geldautomat eines weiteren Geldinstituts kommt in letzter Minute, bevor Marsi laut nach einem Helikopter gerufen hätte, um uns augenblicklich auszufliegen. Wir decken uns mit Bargeld ein. Was für ein gutes Gefühl, das Geld auch in der Hand zu haben und nicht nur auf dem Konto!

Zurück zum Bahnhof gönnen wir uns eine Fahrradrikscha, für 20 INR (0,33 Euro) muss sich der gute Fahrer mit uns und unserem gesamten Gepäck ganz schön anstrengen, bis wir wenige Minuten später wieder den Bahnhof erreichen. Flugs drängelt sich Marsi vor, stellt sich ganz vorne in einer der vielen Schlangen an, wie es in Indien üblich ist. Als Frau darf man sich hier ganz legal vordrängeln, man wird sogar von den Männern in der Schlange dazu ermutigt.

Zugfahrt nach Varanasi

In Indiens Zügen gibt es verschiedene Klassen: Ganz schlecht und ganz günstig ist die Second Class, dann kommt die Chair Class mit Sitzen, die Sleeper Class hat schon bequeme Sitze, die nachts zum Bett umgebaut werden und dann die Klassen 3AC, 2AC und 1AC mit Klimaanlage und je mehr Komfort, je niedriger die Ziffer vor dem „AC“ ist. Für die 4-stündige Fahrt nach Varanasi hätten wir am liebsten Sleeper-Tickets gekauft, doch am Schalter teilt man Marsi mit, dass so kurz vor Abfahrt nur noch Tickets für die Second Class erhältlich seien. Eine Wahl haben wir nicht, 2 Tickets kosten uns 122 INR (2 Euro). Im Zug, so wird uns gesagt, können wir beim Schaffner einen Aufpreis bezahlen und in eine bessere Klasse wechseln.

Um 13:15 Uhr kommt unser Zug, mit unserem ganzen Gepäck sind wir einfach nicht schnell genug, um in einen Wagen mit Second Class zu kommen. Außerdem halten wir es für eine gute Idee, uns gleich einen Platz in der Sleeper Class zu sichern, um dann dem Schaffner ein Ticket für die bessere Klasse abzukaufen, wenn er vorbeikommt. So hätten wir wenigstens schon einen Sitzplatz und müssen nicht mit allem Gepäck im fahrenden Zug durch die Abteile laufen. Eigentlich ist es gar nicht so voll in diesem Zug, wir haben ein ganzes Abteil in der Sleeper Class für uns.

Bald kommt eine junge Familie dazu, nette Leute, mit denen wir uns schnell anfreunden. Der Zug hält jede halbe Stunde, an jeder Station steigen mehr Gäste zu, so dass wir uns die Bank, die eigentlich für 3 Personen gedacht ist, bald mit 6 oder 7 weiteren Gästen teilen. Wir sitzen ganz am Fenster, Toilettengang unmöglich, mal davon abgesehen, dass die Toiletten im Zug allenfalls im Notfall besucht werden sollten. Immer wieder sehen wir, wie die Anwesenden diskutieren, wer denn jetzt eigentlich eine Sitzplatzreservierung für dieses Abteil hat und wer nicht, der Schaffner kommt vorbei und sorgt für Ordnung. Uns spricht er nicht an, wir ihn auch nicht. Wir bleiben einfach sitzen, schauen aus dem Fenster, bis wir um 18:30 Uhr, nach 5 Stunden Fahrt, endlich Varanasi erreichen. Second Class bezahlt, Sleeper Class gefahren, keiner hat’s gemerkt, prima!

Varanasi, die heilige Stadt am Ganges

Wir haben keine Ahnung, wo wir die Nacht verbringen wollen. Ich habe in einem Reiseführer einmal gelesen, dass es in der Gegend vom Assi Ghat ein paar schöne Guesthouses geben soll, also wollen wir uns dort hinfahren lassen. Die Ghats sind die zahllosen überdimensionalen Treppenabgänge, die von der Stadt zum Ganges hinunterführen, es gibt fast 100 davon.

Vor dem Hauptbahnhof in Varanasi riecht es übel, nach Abgasen, Kuhmist, Urin, Kot und Staub. Wir entscheiden uns für ein Taxi, 210 INR (3,50 Euro) soll die Fahrt kosten. Schnell sitzen wir in einem Wagen, der Fahrer lässt uns aber alleine und nach 2 Minuten werden wir von anderen Indern abgeworben. Eine Menschentraube bildet sich um unser Taxi, in dem wir so ganz alleine sitzen und nicht genau wissen, worauf wir eigentlich warten. Wir sollen doch besser ein Tuktuk nehmen, das sei schneller und günstiger und sowieso viel besser. Uns egal, wir wollen nur noch ankommen und schlafen, vielleicht vorher noch eine heiße Dusche.

Ganz frech steigen wir aus dem Taxi wieder aus und nehmen doch ein Tuktuk, das uns in einer halben Stunde durch die hupende und stinkende Großstadt Varanasi in die Nähe des heiligen Flusses Ganges bringt. Wir schauen uns mehrere Guesthouses an, die meisten davon sind schäbig, schmutzig und das Geld nicht wert, das man von uns verlangt. Im Singh Guesthouse werden wir schließlich fündig: ein großes Zimmer mit Doppelbett, steinharter Matratze und müffelnder Bettdecke, ein altes Bad mit ranziger Ausstattung ist uns 600 INR (10 Euro) pro Nacht wert. Es ist das kleinste Übel. Immerhin gibt es einen schönen Garten und wir sehen, dass auch andere Touristen hier abgestiegen sind, was uns ein gutes Gefühl gibt.

Nach einer heißen Dusche gibt es noch ein Curry und eine Gemüsesuppe zum Abendessen, bevor wir ins steinharte Bett fallen. Da sind wir also, in Varanasi. In der heiligsten Stadt Indiens, der Totenstadt, wo die Menschen herkommen, um am Ganges zu sterben oder zumindest in diesem zu baden oder einen Schluck des heiligen Wassers zu trinken, wenn es mit dem Sterben noch etwas dauert.

Marsi will raus. Sofort!

An dieser Stelle ist es wichtig zu erwähnen, was Marsi vom Grenzübertritt am Morgen bis zur Ankunft in Varanasi am Abend (und auch noch viele Tage danach) immer wieder denkt und sagt: „Ich will hier weg!“ Ganz schnell. Am liebsten sofort. Egal wohin. Sie sagt das nicht nur so, sie meint es auch genau so. Wir kennen Indien erst seit einem halben Tag und schon hat Marsi solche Gedanken? Ja, und nicht zu Unrecht, denn nach diesem halben Tag sind unsere ersten Eindrücke von Indien wie folgt, man kann es sich einfach nicht schönreden: Gestank, Abgase, Müll, Kühe und Hunde so weit das Auge reicht, überall flüssige und feste Fäkalien von Mensch und Tier, noch viel mehr Hektik als in Nepal und unglaublich viele hupende und klingelnde Verkehrsteilnehmer. Kein Land für einen schönen Urlaub. Was finden alle an Indien? Wieso lebt man gerne im Dreck und im Gestank? Wie hält man das hier aus? Wo sind die Kolonialbauten, die Räucherstäbchen und bunten Farben, die schönen Saris und die Schlangenbeschwörer mit ihren Kobras?

Wir wissen es nicht, besonders Marsi weiß es nicht. Ich überrede sie, Indien eine Chance zu geben, eine echte Chance. Und erst nach der Weiterreise nach Delhi zu entscheiden, ob wir wirklich vorzeitig abreisen wollen und Fäkalien gegen zwei Wochen Perhentian Islands in Malaysia tauschen wollen.

Wie es uns weiter ergeht und ob wir tatsächlich früher abreisen, werdet ihr in unseren nächsten Artikeln lesen können. Hier findet ihr die Fotos von unserem Weg von Nepal nach Varanasi: