Einer der Gründe, warum wir unbedingt nach China und besonders nach Peking kommen wollten, ist ein Besuch der Chinesischen Mauer. Von Fotos kennt man „The Great Wall“, vielleicht auch aus Erzählungen.

Gruppentour zur Mauer

Wir wollen uns ein eigenes Bild von der Großen Mauer machen und ließen uns gestern in der Forbidden City anquatschen und zu einer Gruppentour überreden.

Vorteile: Für 150 RMB (ca. 16 Euro) pro Person kommt man bequem zur Mauer und zurück, sieht noch die Olympische Stadt und vieles mehr und ein Mittagessen ist auch noch drin. Neben dem Fahrer ist ein Englisch sprechender Guide dabei. Eine kostenlose Fußmassage und eine Teezeremonie werden noch obendrauf gepackt. Das Ticket für den Besuch der Mauer selbst ist natürlich auch enthalten.

Nachteile: Die Gruppe besteht aus höchstens 5 Touristen, wir sind also nicht alleine. Auf dem Weg zur Mauer schauen wir uns eine Mingvasen-Manufaktur an. Wir können nicht so lange bei der Mauer bleiben, wie wir möchten, sondern müssen uns an einen Zeitplan halten.

Klingt nach einer einfachen Rechnung und einem guten Deal? Ist es auch, denn eine Privattour hätte uns mindestens das Doppelte gekostet. Die komplette Tour mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu organisieren ist zwar möglich, aber bestimmt nicht so bequem.

Früh aufstehen ist angesagt

Wir stehen extra um 6:40 Uhr auf und quälen uns aus dem Bett. Draußen ist blauer Himmel, unter der Decke ist es eindeutig wärmer als auf dem Weg zur Dusche, aber gut. So haben wir es gewollt, da müssen wir jetzt durch.

Recht pünktlich holt uns gegen 7:30 Uhr unser Tourguide Linda ab, zusammen mit ihr und dem Fahrer steigen wir in einen sauberen Minibus, um zwei weitere Touristen in einem anderen Hotel abzuholen, die unsere Gruppe komplettieren. Morgens um halb acht sieht Peking anders aus als zu Zeiten, zu denen wir aufzustehen pflegen. Eine halbe Stunde später holen wir die restlichen Teilnehmer der Tour ab. Wir haben Glück, denn eine angenehmere Begleitung als diese beiden herzlichen Nordlichter aus Norwegen bzw. Dänemark kann man sich kaum wünschen. Beide in Rente reisen sie jetzt oft und viel, schnell freunden wir uns an und tauschen uns aus.

Vasenfabrik

Unsere erste Station, noch bevor wir die Mauer überhaupt zu Gesicht bekommen, ist eine Vasen-Manufaktur. In wenigen Minuten wird uns erklärt, wie viel Arbeit nötig ist, um eine Vase aus Kupfer herzustellen, sie zu bemalen und zu polieren. Schon stehen wir im Showroom, schön eingerichtet mit Tausenden Exponaten von günstig bis sauteuer. Das Highlight ist ein Werk, das das Budget unserer kompletten Weltreise um ein Vielfaches übersteigt. Als Souvenirs zwar bestens geeignet, müssen wir die vielen schönen Vasen und Teller aber leider hierlassen, denn transportieren können und wollen wir sie nicht.

Chinesische Mauer bei Mutianyu

Es gibt verschiedene Stellen, um die Chinesische Mauer um Peking zu besuchen. Der bekannteste ist zweifelsfrei Badaling, am nächsten zur Stadt, spätestens seit Olympia 2008 bestens erschlossen und überlaufen von Touristen.

Wir entscheiden uns deshalb für einen anderen Ort, der ca. 90 km vom Stadtzentrum Pekings entfernt liegt: Mutianyu. Gegen 10:30 Uhr steigen wir aus unserem Minivan aus, laufen ein paar Meter die Straße hinauf, vorbei an den üblichen Geschäften, die uns Souvenirs, Bier und Pfannkuchen verkaufen wollen. Mutianyu soll weit weniger hektisch sein als Badaling, außerdem schöner gelegen und viel weniger besucht. Die beiden Seilbahnen mit Gondeln sprechen eine andere Sprache. Für 65 RMB (7 Euro) kommt man bequem in wenigen Minuten die paar Hundert Höhenmeter vom Dorf bis zur Mauer hinauf, ohne sich anzustrengen. Von oben hat eine deutsche Firma sogar eine Rodelbahn nach unten installiert, wir können es kaum fassen. Vor wenigen Jahren haben wir die Sommerrodelbahnen in Enzklösterle und auf dem Mehliskopf getestet, aber in China? Direkt von der berühmten Mauer weg?

Wir entscheiden uns, den Weg nach oben zu laufen. Eine Stunde soll es dauern laut unserem Guide Linda, die es lieber gesehen hätte, wenn wir ein Return Ticket für die Seilbahn gekauft hätten. Insgesamt lässt der Tour-Zeitplan genau 2:10 Stunden zu, dann trifft sich die Gruppe wieder unten im Dorf. Knappe 20 Minuten später stehen wir schon auf der Mauer, inklusive Abstecher zur Toilette. Von wegen eine Stunde! Steil war der Aufstieg zwar, aber bestens befestigt und völlig ungefährlich.

Das Wetter ist traumhaft, nur wenige kleine Wolken ziehen am blauen Himmel vorbei, wir schwanken zwischen T-Shirt und leichter Jacke, als wir tatsächlich da sind. Mitten drauf. Auf einem unvorstellbar großen Bauwerk, das vor Jahrtausenden begonnen wurde und vor mehr als 500 Jahren in der heutigen Form fertiggestellt wurde. Links von uns schlängelt sich die Mauer den Grat entlang bis zu einem weit entfernten Punkt, den wir ansteuern. Immer wieder sind kleine und große Türme installiert, die einst der Verteidigung dienten. Alleine sind wir nicht auf der Mauer, aber es ist wirklich entspannt hier oben. Ein paar Verkäufer wollen uns natürlich auch hier zu einem Snickers oder einem kühlen Bier überreden, wir lehnen wie immer dankend ab.

Ein Blick auf die Uhr verrät uns, dass wir es nicht schaffen werden, den angesteuerten Punkt zu erreichen, dann den kompletten Weg in die andere Richtung zu gehen und rechtzeitig unten im Dorf zu sein. So drehen wir um, passieren den Punkt, an dem wir die Mauer betreten haben und gehen in die andere Richtung. Es sind immer weniger Touristen, die Stufen werden steiler, bis wir einen hoch oben gelegenen Turm erreichen, von dem sich eine Aussicht bietet, die wir nicht erwartet hätten. Wir sehen viele Kilometer weit, ringsum Berge, die Mauer windet sich vor und hinter uns um die Berge herum. Wir genießen diesen Moment einige Minuten lang und machen Fotos, während uns klar wird, dass wir uns einen kleinen Traum innerhalb des großen Weltreise-Lebenstraums genau in diesem Moment erfüllen. Ein unbeschreibliches Gefühl.

Nach unten mit der Rodelbahn (Toboggan)

Auf dem Weg zurück rennt uns die Zeit davon, deswegen beschließen wir, den Weg nach unten mit dem Toboggan zu bestreiten, mit der chinesischen Sommerrodelbahn. Für 50 RMB (5,40 Euro) pro Person wahrlich kein Schnäppchen, aber bestimmt ein Riesenspaß. Wenn da nicht vor uns die ältere Dame im Schlitten wäre, die einfach nicht kapiert, dass solche Bahnen so konstruiert sind, dass man – selbst ohne von oben bis unten die Bremse überhaupt ein einziges Mal zu betätigen – nicht aus der Bahn geworfen werden kann. Im Schneckentempo bewegen wir uns nach unten, von Spaß keine Spur, die vorgeschriebenen 25 m Sicherheitsabstand sind reine Ironie.

Mittagessen inklusive

Fast pünktlich treffen wir unsere Gruppe, jetzt gibt es ein „Typical simple Chinese meal“ (O-Ton Tourbeschreibung): An einem Straßenstand darf sich jeder eine Fertigsuppe aussuchen, die hier nicht in Tüten kommen wie bei uns, sondern einen großen Papiereimer gleich mitbringen. Die Nudeln sind schon im Eimer, heißes Wasser rein, Gewürze dazu, warten, fertig. Ein Pfannkuchen ist auch noch umsonst, immerhin.

Seidenmuseum

Frisch gestärkt gehen wir dem Nachmittag entgegen. Das Silk Museum in Peking steht jetzt auf dem Programm. Wenn eine Seidenraupe genau so schnell ihren Kokon spinnen könnte wie man uns erklärt hat, wie Seide hier zu imposanten Tüchern und Bettdecken wird, dürfte dieses Material nicht so teuer und begehrt sein. Am Ende wieder ein Showroom mit Seiden-Bettdecken, preislich irgendwo zwischen 500 und 800 RMB (54 und 87 Euro) bestimmt gar nicht so teuer, aber für uns außer Frage, denn für so etwas haben wir keinen Platz. Die passenden Überzüge aus Seide gibt’s logischerweise gleich nebenan. Durch Zufall entdecken wir eine riesige Halle mit allen Arten von Kleidung, von Kopftüchern über Anzüge bis hin zu Socken, alles aus Seide.

Wunderheiler im Olympischen Zentrum

Das olympische Zentrum ist nicht weit entfernt, hier bringt man uns in einen Raum, wo die chinesischen Sportler während der Olympiade 2008 zur Regenerierung ihrer Energien mit Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) und Fußreflexzonenmassage zu Höchstleistungen und unzähligen Goldmedaillen befähigt wurden. Be- oder widerlegen können wir es nicht. Ein Doktor erklärt uns in wenigen Minuten die Grundlagen der TCM und der Reflexzonen-Massage und er erzählt uns, wie wichtig es sei, die Füße immer warm zu halten.

Bisher kein Einspruch von uns, aber dann kommt für jeden unserer Gruppe eine Schüssel mit heißem Wasser, in jeder dieser Schüsseln schwimmt ein Teebeutel. Natürlich kein normaler Teebeutel, wie uns der Doktor erklärt, sondern ein besonderer. Ehrlich gesagt, so unrecht ist es uns nicht, dass wir unsere inzwischen nackten Füße jetzt erst mal baden sollen. Denn seit wir unsere wasserdichten Trekkingschuhe seit Tagen zumindest tagsüber fast ununterbrochen tragen und auch nicht täglich die Socken wechseln können, außerdem zwei Stunden Kletterei auf der Chinesischen Mauer … ihr wisst schon, was wir meinen.

Besser ist es, dass der Geruch durch das minutenlange heiße Kamillenbad bereits etwas abgeschwächt wurde, denn plötzlich sitzen 4 junge Chinesinnen und Chinesen vor uns. Stundenten des Doktors, die in wenigen Monaten alles über TCM lernen und hier und jetzt an uns eine Fußmassage üben. Die Massage war nicht schlecht, keineswegs.

Aber währenddessen erzählt der Doktor von wundersamen Ärzten, die allein anhand der Handlinien, der Zunge und des Gesichts eines Menschen sagen können, was ihm fehlt. Ohne technische Hilfsmittel und große Untersuchungen. Nicht, dass wir an solchen Dingen zweifeln, ganz im Gegenteil: Wenn es hilft, war es die richtige Therapie. Egal ob Schulmedizin, Heilpraktiker oder TCM. Wir nicken andächtig. Schon steht ein solcher Arzt auch schon im Zimmer, in Form einer äußerst gut aussehenden Asiatin, anscheinend aus Tibet und ausgestattet mit all den beschriebenen Fähigkeiten. Mein Sitznachbar wird als erster untersucht, schwache Nieren werden diagnostiziert. Ich schaue gespannt zu, vor allem, als die Ärztin etwas auf Chinesisch auf einen Zettel schreibt. Später erfahren wir, dass das aufgeschriebene Mittel, was es auch immer war, von ihr für diese Nierenschwäche empfohlen wird und für schlappe 250 Euro direkt jetzt und hier mit Cash oder Kreditkarte erworben werden könne. Prima!

Ein kleines Paket wird herumgereicht, wir können die magischen Teebeutel kaufen, in denen wir eben noch unsere Füße gebadet haben. Natürlich nicht dieselben, sondern die gleichen.

Ganz besonders beworben wir eine Kräutertinktur, die für und gegen alles wirken soll: Verspannungen, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit und bestimmt auch Erektionsstörungen, wenn man sie an der richtigen Stelle aufträgt. Ein kleines Fläschchen davon wird zwischen den Fußmasseuren hin- und hergereicht und wir bekommen eine kleine Kostprobe: Der Masseur träufelt zwei Tropfen auf mein linkes Knie und hält seine Hand darauf. Ein paar Sekunden später wird die Stelle heiß, nein, eigentlich kalt, beides zusammen irgendwie. Fantastisch. Der Stoff riecht kräutrig, irgendwie auch als könne man es trinken oder essen. Als ich die Flasche symbolisch wie einen Flachmann ansetzen will, ernte ich ein lautes „NO NO NO!“ von den Anwesenden.

Das war ein harter Brocken. Hier werden uns – während Studenten in gleichen T-Shirts, alle mit seriösen olympischen Ringen als Stickerei, uns kostenlos die Füße massieren – eine Wundertinktur, magische Teebeutel und ein teures Medikament angeboten. Von Ärzten, die gar nicht dem Chinesischen-Medizinmann-Bild entsprechen, das wir eigentlich von diesen hatten. Mindestens einen grauen Bart hätten wir schon erwartet.

Chinesische Teezeremonie

Nun gut, unsere vorletzte Station heißt „Dr. Tea“, eines der zahlreichen Teehäuser in Chinas Hauptstadt. Eine hübsche Chinesin erzählt uns, wie man hier die Teetassen hält, Männer und Frauen unterschiedlich. Und dass man den Tee schlürft, wegen des Geschmacks. Wir kommen uns reichlich bescheuert vor, probieren das mit dem Schlürfen genau ein Mal und trinken den ohnehin schon abgekühlten Tee dann einfach wie immer. Wir probieren frisch und mit geübten Händen zubereiteten Oolong-, Jasmin-, Lychee- und Pu-Erh-Tee.

Besonders der Pu-Erh-Tee, bei uns in Europa als Diät-Tee schon längst wieder out, scheint verkauft werden zu wollen. Gesund soll er sein zu jeder Tages- und Nachtzeit, besonders hochwertig und rein im Geschmack. Für uns riecht das in gepresster Form vor uns liegende und wie ein riesiges Stück Dope aussehende Stück Tee nach Fischsoße.

Wirklich hervorragend und einzigartig schmeckt uns aber der Oolong, eine Sorte, die wir bisher überhaupt nicht kannten. Im Showroom nebenan sind uns 120 RMB (13 Euro) für 150 g Tee, den wir ohnehin nicht transportieren wollen, aber doch etwas zu viel. Wir kaufen schon wieder nichts.

Inzwischen ist es kurz vor 18 Uhr, fast schon dunkel, und wir beschließen gemeinschaftlich mit den anderen Teilnehmern unserer Gruppe, den Besuch des Olympiastadions zu streichen. Der Tag war lange genug, viele Eindrücke wollen verarbeitet, viele Geschmäcker und Gerüche zugeordnet werden. Das Olympiastadion steht morgen bestimmt auch noch.

Zurück nach Peking

Bereits auf der Heimfahrt kommt mir immer wieder ein Geruch in die Nase, es riecht nach … ja, wonach eigentlich? Ist es ein Gewürz? Etwas zu essen? Fischsoße? Irgendwann fällt der Groschen: Es ist Maggi! Und zwar nicht irgendein Maggi, sondern Maggi in hochverdichteter Form, wie es ihn nur hier in China geben kann. So intensiv, so durchdringend! Aber woher kommt dieser fremdartige Geruch? Kurze Zeit später wissen wir es: Es ist mein linkes Knie. Genau die Stelle, wo der Masseur eine gute Stunde vorher die Kräutertinktur demonstriert hat, die heiß und kalt zugleich wurde. Jetzt noch ein gekochtes Ei kurz an meinem Knie reiben und das Abendessen wäre perfekt!